Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Wie Viel Bank Braucht der Mensch?

Titel: Wie Viel Bank Braucht der Mensch? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fricke
Vom Netzwerk:
der Wirtschaft, den äußeren Umständen und dem politischen Kontext.« Sprich: Es ist abwegig vorzugaukeln, all dies ließe sich durch einen einzigen und objektiven »Gleichgewichtspreis« für Währung oder Staatsanleihen des Landes ausdrücken.
    Wenn das so ist, kann es zu ziemlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen, je nachdem, worauf sich der Markt einigt, wohin die Herde gerade rennt. Und nicht zu einem einzigen Gleichgewicht, wie es die Lehrbücher wollen. Das Dilemma ist dann: Wo soll der designierte stabilisierende Spekulant hinspekulieren, wenn Herdentrieb und Mutmaßungen in der dritten Ableitung über Kurstrends so stark (mit-)entscheiden – und weniger die magnetische Kraft eines mehr oder weniger objektiven Gleichgewichtspreises? Dann fehlt den gelobten Stabilisierern die alles entscheidende Zielgröße. Es ist ja nur sinnvoll, gegen einen (vermeintlich überschießenden) Aufwärtstrend zu wetten, wenn relativ sicher ist, dass die Kurse sich früher oder später da auch wieder hinbewegen. Ist das nicht der Fall, ist es lukrativer, mit der Herde zu rennen. Und dann verkehrt sich das ganze Märchen.
    Der Wiener Finanzmarktforscher Stephan Schulmeister hat in Feldstudien untersucht, wozu das in der Praxis führt. Danach ergeben sich immer wieder Minutentrends in eine Richtung, unterbrochen von kürzeren Gegenbewegungen, in denen Gewinne mitgenommen werden, was treppenartig zu einem Stundentrend führe. Daraus ergebe sich die typische Abfolge von Kursschüben, welche für einige Zeit in eine Richtung länger sind als die Gegenbewegungen. Was am Ende zu jeweils mehrjährigen Bullen- und Bärenmärkten führe, wie bei Wertpapierkursen üblich. Die Regel ist dann nicht das Gleichgewicht, sondern ein ständiges Hin und Her, bei dem die Kurse immer wieder übers Maß hinausschießen.
    Eher ein Tollhaus? Wenn Kurse stark von Herdenreflexen getrieben werden, fehlt dem ganzen freien Treiben plötzlich der nötigeStoppmechanismus für die Fälle, in denen die Herde blind in eine Richtung läuft. Dann wirkt so eine Spekulation eher destabilisierend, so Schulmeister. Dann klappt die ganze Finanzglobalisierung womöglich nicht mehr, zumindest nicht so, wie sie sollte.
    ***
    Kein böser Wille. Für jeden Einzelnen ist es erst mal rational, mit der Herde zu laufen und bei steigenden Kursen einzusteigen. Auch Tante Erna, der Papst und der Dalai Lama würden das tun (oder tun das), wenn ihnen ihr irdisches Geld nicht ganz egal ist. Das Problem liegt darin, dass die Summe dieser Entscheidungen zu unfassbaren Übertreibungen führt. Und irgendwann, wenn die Kurse mit der Realität nichts mehr zu tun haben, kommt Panik auf, und alle verkaufen plötzlich. Dann wirkt der Herdeneffekt erneut. Nach unten.
    Nur so, über das Ausbleiben stabilisierender Spekulation, lässt sich erklären, warum Mitte 2007 die Risikoprämien auf Kreditausfallversicherungen der Banken auf Rekordtief lagen. Nicht weil es objektiv Gründe für derlei Gelassenheit gab, das System stand ja in Wahrheit kurz vor dem Kollaps. Sondern weil alle glaubten, die Lage sei prima. Nur so ist auch erklärbar, warum jahrelang viele griechische Anleihen gekauft haben. Und warum die Herde danach in Panik davonlief.
    Im täglichen Handel mit dieser oder jener Aktie mag es immer wieder Analysten geben, die stets darauf aus sind, den richtigen Moment zu erkennen, um auszusteigen, wenn der Kurs überbewertet zu sein scheint – und die so dazu beitragen, dass Trends nicht zu sehr in eine Richtung gehen. Wie viel Willkür auch in Aktienkursen stecken kann, konnten Aktionäre und Nichtaktionäre beobachten, als 2012 Facebook an die Börse ging, die Kurse erst unfassbar stiegen, um dann einzubrechen. Wo ist der richtige Kurs? Wahrscheinlich da, wo alle vermuten, dass die anderen ihn vermuten. Und das kann fast überall sein, je nachdem, wo die Herde hinzieht. Im Nachhinein findet sich immer eine Begründung.
    Nach Schulmeisters Erkenntnissen bilden die Händler auf Basis von Fundamentaldaten in der Regel lediglich Erwartungen darüber,in welche Richtung sich ein Kurs bewegt. Nicht darüber, wo der vermeintliche Gleichgewichtskurs liegt, den sie ja auch nicht kennen. Das macht einen großen Unterschied. Da fehlt der Fixpunkt. Auf so eine Trenderkennung seien auch die technischen Spekulationssysteme aus, mit denen anhand von rein mathematischen Formeln Wendepunkte erahnt werden sollen.
    All das erklärt, warum das Ganze auf globalisierten Finanzmärkten so oft entgleist –

Weitere Kostenlose Bücher