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Wie wollen wir leben

Wie wollen wir leben

Titel: Wie wollen wir leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Maischenberger
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nach vorne. Das sind jedenfalls Lehren, die aus dem Streit über »Stuttgart 21« gezogen werden sollten.
    Vielleicht kann man sich da ein bisschen an den Schweizern orientieren: Haben die große Projekte, wird in einem sehr frühen Stadium über die allgemeine Richtung durch Plebiszit, durch Bürgerentscheid abgestimmt. In der Regel votieren sie dann später ein zweites Mal über das konkrete Projekt und seine Finanzierung.

    Generell zu behaupten, dass alle Politiker Angst haben oder sich nach der Laune der Bevölkerung richten, geht mir zu weit. In meiner politischen Zeit haben wir Münchner Großprojekte wie U-Bahn, S-Bahn, Fußgängerbereich oder neue Stadtviertel mit den Menschen kommuniziert, mit ihnen geredet und sie ihnen erklärt. Und das haben meine Nachfolger ebenso getan. Vielleicht ist es notwendiger denn je, dieses Erklären. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Es gibt Dinge, die nicht in der nationalen Zuständigkeit liegen, und das erschwert Bürgern, manchmal sogar Politikern, den Durchblick, wer eigentlich die Verantwortung hat und entscheidet.
    Â 
    Das sind zwei Themenbereiche, ich möchte jetzt aber bei den Volks-, bei den Bürgerentscheiden bleiben. Sie sind dafür, diese auf Bundesebene einzuführen?
    Â 
    Dafür kämpfe ich seit Jahrzehnten.
    Â 
    Warum hat dies so wenig Resonanz gefunden? Warum ist das nicht längst passiert?
    Â 
    1992/93 hatten wir dafür in der Gemeinsamen Verfassungskommission eine absolute Mehrheit, erreichten aber nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit. 2002 wiederholten wir den Antrag, der Entwurf wurde ebenfalls abgelehnt. Zur Sache selbst: Ich lebe seit 1949 in Bayern, also in einem Land, in dem der Volksentscheid dank des Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner von Anbeginn an in der Verfassung stand und auch praktiziert wurde. Das bayerische Volk hat auf dieser Grundlage Positionen der mit absoluter Mehrheit regierenden CSU immer wieder korrigiert. Das hat der Demokratie gutgetan. Als Beispiel nenne ich die Ersetzung der Bekenntnisschule durch die christliche Gemeinschaftsschule, die Sicherung der Rundfunkfreiheit, die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung, die Einführung des Bürgerentscheids auf kommunaler Ebene und zuletzt die klare und strenge Regelung des Rauchverbots. Alle Bundesländer haben inzwischen auf ihrer Ebene Volksentscheide ermöglicht.
    Nun frage ich mich, warum das, was in allen Bundesländern
praktiziert wird, auf Bundesebene unmöglich sein soll. Der Volksentscheid soll ja nicht das Parlament ersetzen, sondern die Gesetzgebungsmöglichkeit nur ergänzen. Außerdem besagt Artikel 20 des Grundgesetzes ja, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dass es sie durch Wahlen und Abstimmungen ausübt. Der Parlamentarische Rat hat die Abstimmungen auf die Änderungen von Landesgrenzen beschränkt, weil er Missbräuche nach Art der in der Weimarer Zeit von den Nationalsozialisten im Zusammenhang mit der – übrigens gescheiterten Volksbegehren – betriebenen Hetze befürchtete. Aber eine solche Befürchtung kann doch heute, also fünfundsiebzig Jahre später, nicht mehr den Ausschlag geben. Deshalb ist es hoch an der Zeit, mit dem Artikel 20 des Grundgesetzes Ernst zu machen.
    Â 
    Das ist ein Appell, aber diesmal an die Regierenden und an das Parlament.
    Â 
    Ein Appell an die CDU, an die Union. Neuerdings habe ich ja einen wichtigen Bundesgenossen. In einer Talkshow, ich weiß nicht mehr in welcher, sagte Edmund Stoiber, ehemals bayerischer Ministerpräsident, er sei früher gegen das Plebiszit auf der Bundesebene gewesen, für das sich Herr Vogel eingesetzt habe. Jetzt teile er dessen Meinung. Vogel habe recht.
    Â 
    Jetzt, wo er nicht mehr regiert. Schade, schade!
    Â 
    Ja, aber seine Stimme hat doch in seinem Umfeld noch immer Gewicht.
    Â 
    Aber was würden Sie alles zur Abstimmung stellen? Hätten Sie die Einführung des Euro zur Abstimmung gestellt?
    Â 
    Das Parlament kann nicht Dinge zur Abstimmung stellen. Das muss aus der Mitte der Bürgerschaft betrieben werden. Wenn seinerzeit Leute beantragt hätten, den Euro abzulehnen, dann wäre das eine Initiative gewesen. Wären die entsprechenden Quoren erreicht worden, wäre anschließend ein Volksbegehren und danach ein Volksentscheid zustande gekommen. Das hätte mehrere Monate gedauert. Es wäre also genügend Zeit geblieben, das Für und
Wider zu

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