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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Prolog
    Lass die Fenster auf Durchzug.Auch im Winter. Ich brauche viel
Luft. Und das Licht, das Radio, lass beides an. Dunkelheit und Stille
sind eine Qual für mich, wer will mir das verdenken? Jedem in
meiner Lage ginge es so. Eine Lage, in die du mich gebracht hast. Das
macht es dir jetzt unmöglich, weg zuhören, wenn ich durch
deine Träume schleiche, um dir wieder und wieder meine
Geschichte zu erzählen.
    Ich hatte viel Pech. Ein Soldat auf Heimaturlaub, zur falschen
Zeit am falschen Ort. Es war kurz vor Ostern, die Nacht zum
Palmsonntag im dritten Kriegsjahr, und die deutschen Städte
standen unversehrt. Gegen zehn Uhr am Abend kam ich an, per Autostopp
von Hamburg, Vollmond über den Dächern, der Himmel
sternenklar, leichter Frost. Eine herrliche Nacht. Ich kostete die
Luft, die rein und kalt war wie Gletscherwasser, sogar mitten in der
Altstadt mit ihren muffigen Mauern, und ich wollte noch nicht nach
Hause, also streifte ich durch die Straßen auf der Suche nach
einer Gelegenheit, einer Liebschaft, einem Glücksspiel –
was auch immer. Eine Gelegenheit eben. Nur nicht zur Familie zurück,
nur weiter diese Luft trinken. Luft, Luft.
    Als die Sirenen heulten, war ich nicht beunruhigt, ich dachte
nicht an das Mondlicht, das sich in den Wasserflächen von Trave
und Wakenitz spiegelte, die reinste Zielmarkierung, ich dachte an den
letzten Feldpostbrief von daheim. Ständig sei Alarm, schon mehr
als zweihundert Mal seit Kriegsbeginn, und nichts sei jemals
geschehen, keine Flieger weit und breit. Ich war sicher, dass auch
diesmal nichts geschehen würde.
    Dann das Inferno. Ich sah die Sprengbomben fallen, hörte ihr
Singen, ich stand und staunte, während sie die Dachstühle
der Häuser bloßlegten – und es gefiel mir.Alles, was
geschah, gefiel mir. Wie die Brandbomben das Gerümpel in den
Dachböden entzündeten, staubtrockenes Holz, das brannte wie
Butterbrotpapier, die Häuser wie Fackeln. Wie die Leute ohne
Sinn und Verstand um ihr Leben rannten. Wie die Erde von den
Einschlägen bebte. Kaum zwanzig Minuten vergingen, bis sich eine
Feuerwand das Ufer der Trave entlang fraß. Dazu unfassbarer
Lärm: die Detonationen, das Dröhnen der Maschinen in
niedriger Flughöhe, von der Luftabwehr so gut wie unbehelligt,
das Prasseln der Flammen, das Bersten von Glas, Glockengeläut
und überall Geschrei. Ich bin nicht sicher, aber ich denke, ich
habe ebenfalls geschrien, nicht aus Panik, sondern aus Erregung. Es
war, als erblickte ich endlich mich selbst. Genauso wie in den
brennenden Gassen der Stadt sah es tief in mir aus, hatte es immer
schon ausgesehen. Ich war glücklich.
    Erst als meine Haare versengten, bemerkte ich den Sturm, ein
gieriger Sog hin zum Brandherd, der unentwegt nach Sauerstoff
verlangte und mich an euch erinnerte. Zum ersten Mal, seit ich denken
konnte, wart ihr mir nicht gleichgültig oder lästig, im
Gegenteil, ich wollte alles wiedergutmachen, euch retten. Welch ein
Hohn, dass ihr Kinder die ganze Zeit in Sicherheit wart, während
ich lebendig begraben wurde, erst verglühte und dann erfror,
verfaulte, erstickte, verdurstete und zerfaserte – alles bei
wachem Bewusstsein und ohne zu sterben. Es stank nach dem Tod anderer
Leute.
    Ich weiß noch, wie ich den Himmel wiedersah: ein milchig
heller Tag, die kraftlose Sonne hinter Rauchschwaden, schwefelgelbe
Wolken. Wie mich die Lichtflut blendete, als ich erwachte. Ich hatte
nicht mitbekommen, dass sie den Schutt abtrugen, Backstein um
Backstein. Die Erleichterung, überlebt zu haben.
    Zuerst nahm ich euch nicht wahr, so still verhieltet ihr euch.
Erst als der Staub euch zum Husten brachte, entdeckte ich euch beide,
wie immer unzertrennlich, tiefes Staunen stand in euren Gesichtern,
die rußverschmiert und staubig waren, ebenso die Wintermäntel.
Euer Haar, sonst rötlich, wenn ich mich recht entsinne, war von
einem Ascheschleier überzogen, was euch Kinder wie Greise
aussehen ließ. Wie ihr mich angeglotzt habt, minutenlang, ohne
euch zu rühren. Ich lag hilflos da. Nur meinen Kopf hattet ihr
freigeschaufelt, auf den Gliedern lasteten die Trümmer wie Blei.
Zu schwer für euch, aber ihr hättet Hilfe holen können.
Hilfe holen müssen. Wenn ihr mich für einen Schuft gehalten
habt – was wart dann ihr?
    Staub, Staub. Der rauchige Himmel, in großer Höhe
Krähen, die über uns kreisten. Ihr hattet Wasser. Ich war
durstig,

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