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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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umklammern. Die
Finger fühlen sich bereits taub an. Die andere Hand schmerzt,
weil sie damit im Auto ja unbedingt auf die Fensterscheibe
einschlagen musste. Sie fragt sich, wie ernst die Situation für
sie ist, und kommt zu keinem Ergebnis. Große Angst hat sie
keine, obwohl die Landschaft um sie herum immer unwirtlicher wird, je
weiter sie vorankommen. Trotzdem, es ist immer noch Rúnar, sie
kennt ihn. Was sollte er ihr tun? Liv hört auf, sich zu wehren,
aber Rúnar lässt sie nicht los. Möwengeschrei wie
Hohngelächter. Links und rechts des Weges steigt Dampf aus dem
Boden auf, und der Schwefelgehalt in der Luft nimmt zu.
    Schließlich hat er Liv offenbar dort, wo er sie haben will:
Inmitten von Moosen und Flechten in Hellgelb, Pink und sattem Grün
faucht und blubbert es aus dem Boden. Zwischen bräunlichen,
silbernen und ockerfarbenen Krusten verbreitet kochender Schlamm aus
Wasser und Vulkanasche unsäglichen Fäulnisgestank. Sie
halten inne und schauen sich um. Die Hölle ist bunt.
    Klaviermusik. Wie Tönges gespielt hat: laut, nicht sonderlich
rhythmisch, leidenschaftlich. Sie hat auf diese Weise niemanden
spielen hören, seit sie ausgebombt wurden und für ihren
Bruder kein Instrument mehr zur Verfügung stand. Jetzt, da er
tot ist, kann er sich auf ihrem Klavier austoben, tagein, tagaus, er
wird in ihrem Haus jederzeit willkommen sein.
    Während sie am Fenster steht und zusieht, wie der Enkel die
Frau aus Deutschland in die Berge führt, lauscht sie
hingerissen.Ein Lied aus den Dreißigern: Duke Ellington, »It
don't mean a thing if you ain't got that swing.« Leise summt
sie mit und bemüht sich zu begreifen, was der Junge ihr soeben
unter Tränen gestanden hat.
    Anfangs war Tönges Feuer und Flamme. Ja, natürlich
wollte er mit nach Island kommen, um sie, seine Schwester, endlich,
endlich wiederzusehen, nichts lieber als das, und er packte sofort
seine Tasche und wollte los. Nur einmal noch auf einer Baustelle nach
dem Rechten sehen, wo demnächst eine große Sprengung
bevorstand, das war ihm wichtig.Ausgerechnet dort kam es zum Streit.
Rúnars Fehler: Er hat gewagt, Tönges auf jenes dunkle
Geheimnis anzusprechen, das Fritzi mit ihm teilt. Dass sie plante,
das Schweigen ein für alle Mal zu brechen, war nicht in Tönges'
Sinn.
    Es kostet Fritzi nicht viel Phantasie, vor sich zu sehen, wie ihr
Bruder im Keller eines Fabrikgebäudes die Beherrschung verliert
und sich auf den Enkel stürzt.
    Â»Ich lasse mich nicht als Vatermörder in den Knast
sperren. Ich nicht«, soll er geschrien haben. Dass der Jüngere,
mit der Situation völlig überfordert, als Sieger aus dem
Handgemenge hervorging, ist keine Überraschung. Tönges
hatte Pech, ist unglücklich mit dem Hinterkopf aufgeschlagen,
sein Tod im Grunde Notwehr. Lediglich die Reaktion des Enkels, ihn
dort unter dem Gerümpel zu begraben, Spuren zu verwischen, sein
Fahrrad verschwinden zu lassen, macht aus der Tragödie ein
weiteres Verbrechen in der schaurigen Geschichte ihrer Familie. Sie
ahnt es schon lange, es war der zweite große Fehler ihres
Lebens, den Enkel nach Deutschland zu schicken, um Tönges zu ihr
zu holen. Sie hätte selbst fahren sollen. Sie feiges, dummes
Ding.
    Der Junge und die Deutsche sind nicht mehr zu sehen, Fritzi weiß,
er steuert auf die heißen Quellen zu, und sie betet, obwohl sie
an Gott am allerwenigsten glaubt, er möge jetzt keine weitere
Dummheit begehen. Sie sollte Hilfe holen.Aber wen? Sie kann doch den
Enkel nicht der Polizei ausliefern. Zumal sein Schicksal ohnehin
besiegelt ist, denn mittags beim Essen hat sie ihn nackt gesehen, und
Finna hat sie vor vielen Jahren gelehrt, was diese Vision zu bedeuten
hat: Ihm bleibt höchstens noch ein Jahr zum Leben. Es könnte
aber auch weniger sein.
    Ãœberall Dampf. Vor einem Schlammtopf mit blaugrau gluckerndem
Innenleben gibt Rúnar endlich ihr Handgelenk frei. »Du
wirst doch nicht weglaufen?«, fragt er. »Die Erdkruste
hier ist dünn wie ein
    Haferkeks, es gibt überall Hohlräume, die mit Gas
gefüllt sind. Man muss sich schon auskennen. Die Gase sind bis
zu achthundert Grad heiß. Wenn du da hineingerätst, war es
das.«
    Liv bleibt stehen und rührt sich nicht, vom Gestank ohnehin
reichlich benommen. Sie fragt sich,was er hier will. Sie umbringen?
Warum?
    Â»Ich habe ein paar Fragen«, sagt er.
    Liv lacht auf. »Du hast Fragen? Du? Du

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