Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
bist mir erst mal
eine Million Antworten schuldig.« »Dir schulde ich gar
nichts.« »Und ob, du Arschloch.«
    Sie stehen Auge in Auge. Rúnar sieht verweint aus, aber
bestimmt nicht ihretwegen, seine Miene ist frostig. »Also gut,
du zuerst«, sagt er.
    Â»Mein Großvater ist tot.«
    Er nickt. »Ist kein Geheimnis mehr, ich hab's im Internet
gelesen: Lübecker Nachrichten online. Sag, wie konnten sie ihn
finden unter all den Trümmern? Ich dachte, da bleibt nichts
ganz.«
    Â»Im Keller schon«, antwortet Liv automatisch. »Wenn
ein Gebäude ab Erdgeschoss gesprengt wird, bleibt die
Kellerdecke meistens erhalten. Alles, was sich darunter befindet,
kommt irgendwann wieder ans Tageslicht, sobald die Aufräumarbeiten
in die letzte Phase gehen, kurz bevor die Ausschachtungen für
eine neue Baugrube beginnen.«
    Â»Wie lange dauert so etwas?«
    Â»Kommt darauf an, wie schnell die Planungen für die
Weiternutzung des Geländes voranschreiten.«
    Â»Ach so. Und ich war sicher, man findet ihn nie. Höchstens
ein paar Überreste«, sagt Rúnar, und ganz
allmählich dämmert ihr die Bedeutung seiner Bemerkungen.
Nicht, dass sie die Wahrheit nicht schon vorher geahnt hätte.
Doch die endgültige Bestätigung lässt sie dem Mann, in
den sie sich erst vor kurzem so vorbehaltlos verliebt hat, ihre ganze
Verachtung entgegen schreien.
    Â»Du hast ihn umgebracht!«
    Die Anklage lässt ihn nicht kalt, das ist deutlich. Liv
beobachtet, wie seine Haltung sich verändert, er sackt
regelrecht zusammen, die Muskeln schlaff, als würde er nur noch
von seinem Skelett aufrecht gehalten.
    Â»Es war Notwehr. Und er ist als Erster auf mich losgegangen,
nicht umgekehrt. Da bin ich eben ausgerastet. Liv, bitte, schau mich
nicht so an. Hör mir zu.Du weißt doch, wie das ist.«
    Und ob sie das weiß, es kann ihr jederzeit und überall
passieren. Sowie jetzt und hier. Ohne Vorwarnung greift sie Runar an,
rammt ihm ihr Knie zwischen die Beine und setzt ihm mit Faustschlägen
ins Gesicht so sehr zu, dass er ein Messer hervorzieht, ihr Messer,
wie sie sofort erkennt, das Laguiole von Tönges. Er muss es ihr
geklaut haben. »Das ist meins.«
    Sie ringen miteinander. Er will auf sie einstechen, trifft die
Schulter.Ein stechender Schmerz.Als sie registriert, dass die Waffe
in ihrem Fleisch steckengeblieben ist, zieht Liv sie raus und
versucht, mit der Klinge seine Kehle zu erreichen. Es gelingt ihr
nicht, noch nicht.Aber sie spürt, der Kampf ist
entschieden.Aufgeputscht durch einen Adrenalinstoß, hat sie
keinen Zweifel mehr an ihrer Fähigkeit, einen Menschen zu töten,
kann es sogar kaum erwarten, Rúnar, den Mörder, unter
diesem stahlblauen Himmel sterben zu sehen. Das blendende Licht und
die Wärme der Sonne auf ihrer Haut versetzen sie in einen
beinahe euphorischen Zustand. Rache für Tönges. Sie muss
nur noch durchhalten, bis Rúnar einen Fehler macht.
    Plötzlich weicht er vor Liv zurück.
    Â»Tu dir das nicht an«, sagt er mit einem
Kopfschütteln, dreht sich um, will flüchten. Die keksdünne
Kruste, vor der er sie zuvor noch gewarnt hat, ächzt und bricht
unter seinem Gewicht unter lautem Krachen zusammen.Achthundert Grad
heiße Gase steigen auf, umhüllen Rúnar und seine
Schreie, als der Erdboden ihn schließlich verschluckt.
    Der Geist am Klavier trägt einen braunen Mantel. Fritzi
gewahrt es, und zum ersten Mal, seit sie auf Bjarg lebt, sucht sie
bei einem Spuk des Móri nicht das Weite, sondern stellt sich
dem Braunen. Sie hat das
    Fortlaufen satt.
    Â»Weg vom Klavier.«
    Der Geist dreht sich zu ihr um, ohne mit dem Spielen aufzuhören.
Inzwischen ist er bei Bach angelangt.
    Der Anblick seines Gesichts lässt sie zusammenfahren. »Du
bist das?«, sagt sie, und ihr Vater grinst, wie er immer schon
gegrinst hat, wenn er sich anschickte, seine Kinder oder seine Frau
zu quälen.
    Â»Wen hast du denn erwartet?«
    Bachs Toccata in d-Moll perlt durch das Wohnzimmer. »Warst
du es die ganze Zeit?«
    Â»Natürlich war ich es. Eurem Hausgespenst ist über
die Jahrhunderte die Puste ausgegangen, da habe ich ihm ein wenig
unter die Arme gegriffen. Hast du ehrlich geglaubt, du könntest
mich auslöschen? Mich? Deinen eigenen Vater?«
    Â»Nein.«
    Eine Lawine aus vertrauten und neuen Gefühlen reißt
Fritzi mit sich fort: die alte Angst, der alte Zorn, neue und

Weitere Kostenlose Bücher