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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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früher sind doch längst verjährt. Vergiss es, Papa.
Mach deinen Frieden damit, dass wir uns nicht leiden können, es
hat nicht funktioniert, warum auch immer. Wir haben einfach nicht
zueinander gepasst.«
    Liv versucht sich ins Gedächtnis zu rufen, wie es war, als
sie ihren Vater noch nicht unsympathisch fand. Es gibt Beweise:
gelbstichige Fotos, sie als Kleinkind auf seinem Schoß, und
zwar fröhlich und anschmiegsam. Sie erinnert sich an die Bilder,
nicht aber an das Empfinden. Egal, wie nah sie beieinander sitzen,
Welten trennen sie. Utz Engel ist ein Mensch, den sie nicht mag.
Punkt. Ein Pisser.
    Â»Aber Tönges, der passt zu dir?«
    Â»Genau. Und deshalb werde ich ihn auch zurückholen. Ob
du mir dabei hilfst oder nicht.«
    Mehrere Tage fällt Regen.Anfangs seicht, dann werden die
Tropfen schwer, spinnen Schnüre und knüpfen einen Vorhang,
der Bjarg von der Welt abtrennt. Ãœberall im Haus der unangenehme
Geruch nach Schwefel und nassem Leder. Fritzi weiß, was das
bedeutet: Der Braune geht um, und er trägt seinen klammen,
stinkenden Mantel. Wo es ihm gefällt, macht er ihr das Leben
schwer, schlägt ihr den Topf mit frisch gekochtem Haferbrei aus
der Hand, holt nachts die Mettwurst aus dem Kühlschrank, sodass
sie am Morgen verschimmelt ist,leitet Regen in verspielten Rinnsalen
unter der Haustür hindurch in die Diele. Fritzi müht sich,
wischt den Boden trocken, so gut sie kann, das Wasser züngelt um
sie herum, zu guter Letzt legt sie Handtücher vor die Tür.
    Tristesse in der Speisekammer: Bis auf Dörrfleisch und
Klippfisch ist kaum noch etwas vorhanden. Die meisten Konserven sind
abgelaufen. Sie benötigt dringend einige Vorräte.
    Ihr letzter Besuch im Supermarkt liegt Monate zurück, da hat
der Enkel für sie Chauffeur gespielt. Ihrer Tochter kann sie
dies nicht zumuten, zumal das Mädchen nichts von sich hören
lässt und auch die regelmäßigen Besuche wieder
eingestellt hat, worüber Fritzi einerseits froh ist,
andererseits bräuchte sie ab und zu wohl doch etwas
Unterstützung im Alltag. Die Hüfte tut weh, und sie hat
keine Tabletten im Haus. Was sie besonders peinigt: das Melken. Es
sitzt sich schlecht auf dem niedrigen Schemel, dazu der Gang über
die Hauswiese hinüber zu den Kühen, zwei Mal täglich,
überall Schlamm, das Gras mit einem Film überzogen wie
Schmierseife. Kein Wunder, dass sie eines Abends fällt und mit
der Wange in einer Pfütze landet.
    Â»Verfluchtes Drecksland.«
    Der Braune lacht.
    Der Regen rauscht.
    Fritzi liegt auf dem Bauch und kann sich nicht rühren, so
beißt der Schmerz, dem sie ebenso wenig entkommen kann wie dem
Wolkenbruch. Sie wird gesteinigt von Wasser. Stunden vergehen, so
kommt ihr vor, bis sie sich halb humpelnd, halb kriechend zurück
ins Haus und drinnen die Treppe hoch ins Schlafzimmer geschleppt hat.
Wie ein nasses Bündel Strandgut lässt sie sich in Kleidern
aufs Bett fallen und schläft sofort ein, ohne das Radio
einzuschalten, was selten genug vorkommt. Zum ersten Mal seit langem
träumt sie von ihrem Vater, wie er lebte und wie er starb, ein
Mann ohne jedes Gewissen.
    Als sie erwacht, ist es wegen des weit geöffneten Fensters
kalt im Raum und der Regen ist in Schnee übergegangen. Fritzi
stöhnt auf. Es geht ihr schlecht, regelrecht furchteinflößend,
jetzt tut nicht mehr nur die Hüfte weh, sondern alles an ihrem
Körper, die Knochen, die Innereien, die Haut – einfach
alles. Außerdem hat sie Hunger und Durst.
    Schlimmer jedoch belastet Fritzi der Schneefall. Noch sind es
nasse, schwere Klumpen: Sulz, der auf dem Fensterbrett augenblicklich
schmilzt, Temperaturen deutlich über dem Gefrierpunkt, kein
Problem für die Kühe. Was aber soll werden, wenn ein echter
Kälteeinbruch kommt, mit strengem Frost? Wie soll sie die Kühe
in den Stall zurückkriegen? Nichts ist so bedrohlich für
eine kleine Landwirtschaft unter nordischem Himmel wie die
Auferstehung des Winters im späten Frühling. Unvergessen
Jóns Verzweiflung im Jahr 1955, als die Schafe von den
Sommerweiden zurück in den Stall geholt werden mussten, wo es
für sie nichts zu fressen gab außer fauligem Wildheu. In
einer Woche verloren sie die Hälfte der Muttertiere. Nachts warf
er sich von einer Seite auf die andere und boxte unablässig mit
der Faust ins Kopfkissen, während sie so tat, als schliefe sie
tief

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