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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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und fest. Ein Trost: Um die Schafherde von Bjarg kümmert
sich heute ein Pächter, der Nachbar. Fritzis Sorge gilt allein
den Kühen.
    Ein Eingeständnis, das ihr nicht erspart bleibt: Sie ist
bettlägerig, zumindest vorübergehend, da jeder Versuch
aufzustehen scheitert. Draußen Tanz der Wolkengespenster in
allen Schattierungen von Grau. Die Zeit verstreicht mit nüchterner
Grausamkeit.
    Wenn sie Tönges wäre, also ein Mann ohne
Verpflichtungen, ungebunden, außer vielleicht an die eigene
Vergangenheit – wohin würde sie gehen? Liv weiß, sie
braucht eine Theorie, eine Hypothese als Orientierungshilfe, um einen
Beweis erbringen zu können über sein Schicksal, andernfalls
läuft sie bloß weiter wie verirrt durch die eigene
frühjahrstrunkene Stadt, spricht ohne Plan mit Leuten und bringt
nicht das Geringste ans Licht. Die Familie, die alten Kollegen, die
Kleingärtner von den Nachbarparzellen – niemand hat ihn
nach Ostern irgendwo gesehen. Wie weit kommt ein alter Mann mit einem
Fahrrad?
    Tage verstreichen ungenutzt, sie geht nicht zur Arbeit und kommt
mit ihrer Suche nicht voran. Eines Nachts kommt ihr die Idee,eine
Plakataktion zu starten, und sie verbringt Stunden am Computer und
bastelt an einem Entwurf, um dann am Morgen alles wieder zu löschen
und die Sache zu vergessen, überzeugt, Tönges würde
ausrasten und monatelang kein Wort mit ihr reden, falls er davon
erführe. Sie kann ihn regelrecht fluchen hören: »Für
was hältst du mich? Für einen entlaufenen Köter?«
    Vorübergehend ist sie rat- und planlos, spielt sogar mit dem
Gedanken aufzugeben. Ausgerechnet ein Anruf ihrer Cousine Tessa
bereitet diesem unwürdigen Zustand ein Ende.
    Â»Machst du immer noch Jagd auf Tönges?«
    Â»Wie man's nimmt.«
    Es ist Mittag, Regen trommelt gegen die Scheiben, und Liv liegt im
Bett und kann sich zu nichts aufraffen. Der Fernseher läuft,
aber sie schaut nicht hin.Ein merkwürdiges Gefühl, wenn der
Tagesablauf von heute auf morgen seine gewohnte Struktur verliert.
Sie fühlt sich gestrandet.
    Â»Ja oder nein?«, fragt Tessa.
    Â»Eher ja.«
    Â»Dann hör zu. Letztes Jahr zu Weihnachten kam bei uns
ein Brief für ihn an.«
    Â»Bei euch? Wieso?«, fragt Liv, die Mühe hat, sich
zu sammeln.
    Â»Vermutlich weil der Absender nur die alte Adresse hatte.
Das Haus hat schließlich jahrelang den Großeltern
gehört.« »Ach ja. Und wer war der Absender?«
    Â»Keine Ahnung. Es stand kein Name auf dem Umschlag. Deshalb
habe ich auch nachgeschaut, wo der Brief abgestempelt worden ist.«
Sie macht eine Pause, um die Cousine zur Zwischenfrage zu ermuntern.
    Liv tut ihr den Gefallen. »Wo?«
    Â»Da kommst du nie drauf.«
    Â»Bestimmt nicht.Also sag es doch einfach.«
    Â»In Island.«
    Island? Das Wort schlägt eine Saite in ihrem Innern an, von
deren Existenz sie bislang nichts ahnte. Für einen Augenblick
verschlägt es Liv den Atem, sofort hat sie Bilder aus ihrem
Traum vor Augen: das Messer, das Sommerkleid und vor allem den
Schnee.
    Wie weit kommt ein alter Mann mit einem Fahrrad?
    So weit?
    Â 

Steine
    Raus aufs Meer. Die Ostsee hat zwölf Grad,bei warmer Luft und
klarem Himmel. Liv hat sich in den Neoprenanzug gezwängt und
verspürt Vorfreude,Aaron an ihrer Seite blickt hingegen
skeptisch auf die Brandung. Kräftiger Wind aus Südwest
beschert dem Strand bei Westermakelsdorf passable Wellen,bis zu drei
Meter nach Livs Schätzung. Das Wasser ist voller Licht,
blaugrün, fast türkis, als lägen auf dem Grund Juwelen
verstreut. Champagnergischt. Die See, eine Schatzkammer.
    Â»Ist das nichts?«, fragt sie und erhält keine
Antwort.
    Der Junge umklammert sein Board wie ein schüchternes
Kleinkind die Beine der Mutter. Dünn ist er, hat den Böen
nicht viel entgegenzusetzen.
    Â»Bist du sicher, dass du Surfen kannst?« Sie hat ihn
beim Frühstück gefragt, da kam sein Ja zwar leise und
zögerlich, aber es kam. Jetzt Schulterzucken.
    Â»Wellenreiten ist nicht so mein Ding«, ruft er und
wirft das Brett auf den Boden. »Ich glaube, ich hab doch keinen
Bock. Überall Steine. Ich gehe lieber angeln.«
    Â»Wie du meinst«, sagt Liv, bemüht , sich nicht
anmerken zu lassen, dass sie ihn für einen Schisser hält.
Offenbar ohne Erfolg, denn während sie durch die Brandung watet,
bleibt das Kind breitbeinig im Sand stehen und

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