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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Haar, schenkt Tee ein und bemüht
sich redlich, eine möglichst unverfängliche Konversation
anzufangen und am Leben zu erhalten, bis die alte Dame nach Tasse
Nummer drei mit ihrer Entdeckung herausrückt.
    Â»Du interessierst dich doch für Inga, oder?«
    Â»Ja klar.«
    Â»Dann schau dir das an.«
    Endlich: Die schwarze Mappe kommt ins Spiel. Es handelt sich um
Bleistiftzeichnungen und Porträts, das Motiv bleibt immer
dasselbe, soweit Liv erkennen kann: eine Frau, erst jung, dann in
mittleren Jahren, zuletzt als Greisin. Ein feines Gesicht, der
Ausdruck gleichbleibend ernst und dabei mädchenhaft. Jedes Bild
ist mit einem Datum versehen, die erste Zeichnung entstand demnach
1942, die letzte vor etwas mehr als zwei Jahren.
    Liv begreift sofort. »Ist sie das?«
    Die Großmutter nickt. »Sie war rothaarig, oder?«
    Erneutes Nicken. Das Licht im Zimmer wird grell, als vereinzelte
Sonnenstrahlen sich mit Macht ihren Weg durch die abziehende
Gewitterfront bahnen. In der Ferne donnert es noch. Liv lässt
das Rollo herunter, um die Zeichnungen besser betrachten zu können.
    Â»Stammen die alle von Tönges?«
    Â»Davon gehe ich aus. Die Mappe war bei seinen Sachen. Ich
habe ein wenig ... ausgemistet, falls du verstehst, was ich meine.«
    Liv versteht, aber sie springt nicht darauf an. Das Tempo, mit dem
die Großmutter ihr gemeinsames Leben mit Tönges abwickelt,
schockiert sie anhaltend, sie will jedoch nicht schon wieder deshalb
streiten.
    Aus künstlerischer Sicht sind die Zeichnungen wohl als
gelungen anzusehen. Tönges kann gut mit dem Bleistift umgehen,
das ist ihr nicht neu. Er hat früher oft Gebäude skizziert
– hin und wieder auch die Trümmer nach dem Abriss. Von den
Porträts seiner Schwester wusste sie nichts. Es kommt ihr
unerhört sentimental vor, sich jemanden, den man liebt und
vermisst, auf diese Weise erhalten zu wollen. Geradezu schwärmerisch,
unpassend für ihren Großvater, erst recht, da es bloß
um eine Verwandte geht. Trotzdem, er war es, sein Stil ist deutlich
erkennbar:wenige Striche, große Wirkung. Tönges und seine
Sparsamkeit.
    Â»Wie konnte er sie nach 1949 noch zeichnen?«
    Â»Nach Gefühl, vermute ich. Er hat sich einfach
vorgestellt, wie Inga in dem jeweiligen Alter ausgesehen haben
könnte.«
    Â»Das ist echt abgefahren«, sagt Liv betont lässig,
obwohl sie sich sehr wohl bewusst ist, einen Beweis dafür in den
Händen zuhalten, dass Tönges den Verlust seiner Schwester
nie verwinden konnte.
    Die Großmutter korrigiert sie. »Nein, Liv, ich glaube,
das nennt man Liebe.«
    Liv hört die Eifersucht in Hennys Stimme und hat Verständnis
dafür. »Du mochtest sie nicht besonders, oder?«
    Â»Nein. Um ehrlich zu sein, ich war krank vor Eifersucht, so
sehr hat Tönges sie angehimmelt, dieses blasse dumme Ding.Als
sie verschwand, war ich richtig froh, bis mir klar wurde, dass es
keine Rolle spielt.«
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Er hat auch so sein ganzes Leben mit ihr verbracht anstatt
mit mir oder unseren Kindern. Deswegen ist unsere Familie so ein
Trauerspiel. Frag deinen Vater.«
    Genau das hat Liv vor. Utz Engel steht ohnehin auf ihrer Liste.
    Am frühen Abend überwindet sie ihre Abneigung gegen das
eigene Elternhaus und fährt in die Weberstraße. Ihr
letzter Besuch dort ist ein Jahr her. Überall Pfützen, auf
dem Fußweg, in der Einfahrt. Die Hecke ist nicht so akkurat
zurechtgestutzt, wie Liv sie in Erinnerung hat. Er öffnet. Ihr
Vater. Der Mann, den Tönges einen »Pisser« nennt.
    Â»Jetzt kommst du.« Jedes Wort ein Vorwurf für
sich. Dann Pause, bevor er in völlig verändertem Tonfall
neu ansetzt, als hätte es den ersten Satz nie gegeben: »Immer
herein in die gute Stube.«
    Liv zögert, tritt sich die sauberen Sohlen mit einer
Gründlichkeit auf der Fußmatte ab, als wäre sie über
einen Acker gelaufen, worauf ihr Vater sie bittet, die Schuhe
auszuziehen. Freundlicher als nötig. Er hat seit jeher diesen
Hang zu indifferentem Verhalten: Loben in Moll, Tadeln in Dur,
schnelle Tonartwechsel – was soll ein Kind damit anfangen? So
gesehen, war sein Ausbruch an Ostern ein Fortschritt: eine klare
Angelegenheit.
    Auf Socken im Elternhaus. Die Kälte der Fliesen unter den
Füßen wirft sie zurück in die Zeit des heimlichen
Hereinschleichens zu später Stunde. Unwillkürlich legt sie
die

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