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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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wirft Steine ins Meer.
Manche kommen ihr so nah, dass es kein Zufall sein kann.
    Im Wasser Schwärme aus schwarz glänzendem Neopren:
Wellenreiter, Wind- und Kitesurfer. Jeder will die besten Wogen für
sich. Sie schwimmt weit raus, gibt sich ganz und gar dem Element hin,
frohlockt, als die Strömung sie erfasst und von der Küste
fortzieht bis zu einer Sandbank mit eigener Brandung, für sie
ganz allein. Endlich. In weiter Ferne am Horizont das Rot eines
Fährschiffes. Liv paddelt und richtet sich auf, steht, surft,
jubelt, jawohl, sie kann es noch. Tatsächlich: Sie lebt.
    Am Abend legt sich der Wind, und es ist mild genug für ein
Lagerfeuer am steinigen Strand. Aaron sieht aus, als wisse er nicht
genau, ob es ihm peinlich ist,mit seiner Mutter hier zu sein, oder ob
er Gefallen an der Sache findet. Er hat für die Verpflegung
gesorgt: Coca-Cola und Sprotten am Spieß, selbstgeangelt. Liv
ist kaum in der Lage, die Flasche zu halten, so geschwächt sind
ihre Arme nach dem Kampf mit der Ostsee. Der Weg mit dem Surfboard
zurück ans Ufer war hart, am Schluss wurde es regelrecht
brenzlig.
    Aaron mustert sie. »Du bist ja ganz schön fertig.«
    Â»Geht so.«
    Â»Machst du immer so gefährliche Sachen?« Sie
zuckt mit den Schultern. »Manchmal. Und du?« »Ich
bin ein vorsichtiger Mensch«, sagt er, ohne sie anzusehen.
»Wahrscheinlich komme ich mehr nach Papa.« Der Lichtkegel
des nahen Leuchtturms, der Schiffe vor Untiefen warnt, streift sein
junges Gesicht.
    Liv findet, er ist eine ziemlich gelungene Mischung aus ihnen
beiden.All die schlechten Eigenschaften, die sowohl sie als auch
ihren Exmann auszeichnen, sind scheinbar nicht auf ihn übergegangen.
Was für ein Glückspilz.
    Â»Warum wolltest du eigentlich so plötzlich bei mir
wohnen?« Die Frage lag ihr schon oft auf der Zunge, aber
bislang hat sie nicht gewagt, sie zu stellen.
    Â»Weil ich es unfair fand, dass Papa dir keine Chance
gelassen hat.«
    Â»Inwiefern?«
    Â»Na ja, er hat mich dir einfach weggenommen, eine neue
Familie gegründet und die ganze Zeit behauptet, du wärst
keine richtige Mutter. Das fand ich unfair. Nachdem ich angefangen
hatte, darüber nachzudenken.«
    Liv starrt ihren Sohn an, als würde sie ihn gerade zum ersten
Mal sehen, und so fühlt sie sich auch. Sie hat die Situation
völlig falsch eingeschätzt, dachte, es ginge ihm lediglich
darum, die strengen Regeln zu umgehen, die sein Vater daheim für
ihn aufgestellt hatte. Stattdessen wollte er ihr gegenüber
gerecht sein. Aarons Bekenntnis macht sie rührselig, und sie
kippt ihre Cola, den Blick auf die schwarze Unendlichkeit des Meeres
gerichtet, damit er nichts davon mitbekommt, und sehnt sich nach
einem Bier. Die Brandung hat nachgelassen, die Wellen plätschern
jetzt gemächlich an den Strand. Sie wünschte, es wäre
so einfach, ihr Schuldgefühl abzuschütteln, indem sie
fortan Janko die Schuld für ihr Versagen als Mutter gibt.
Sicher, er hat ihr den Jungen vorenthalten.Aber sie hat nichts
dagegen unternommen. Und so schwach, wie sie sich in diesem
Augenblick fühlt, ist sie nie gewesen.
    Â»Bist du in Ordnung?«, fragt er.
    Liv nickt. »Dein Vater und ich, wir haben es beide
vermasselt.«
    Â»Ist mir schon klar.«
    Er holt die Sprotten aus den Flammen, sie sind schon ziemlich
verkohlt und schmecken perfekt.Alles ist perfekt. Der Feuerschein,
das Wispern der schläfrigen Ostsee. Hin und wieder Flugzeuge
hoch über ihren Köpfen.
    Â»Du bist ein kluger Junge,Aaron«, sagt Liv und fügt
mit einem Grinsen hinzu: »Du wirst es noch mal schwer haben im
Leben.«
    Livs Theorie über Tönges: Kurz vor Weihnachten
vergangenen Jahres erhält er Post von seiner verschollenen
Schwester, die es nach Island verschlagen hat, wovon er nichts ahnte.
Er liest den Brief, ein dickes Paket Papier, viele handgeschriebene
Seiten, und wirft ihn – vor den Augen von Livs Cousine Tessa,
so viel ist sicher – direkt ins Kaminofenfeuer, ohne ein Wort
über den Inhalt zu verlieren. Liv ist überzeugt: Nach all
den Jahren des Vermissens kann er nicht mehr und will auch nicht. Es
ist zu spät. Inga ist für ihn gestorben, daran ist nicht zu
rütteln. So weit sein Plan.
    Bis sich das ebenso fade wie geregelte Leben des Tönges Engel
entscheidend verändert, und zwar ohne sein Zutun: Henny will die
Scheidung, präsentiert ihm frech seinen Nachfolger

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