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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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ersten Schritte auf Zehenspitzen zurück. Sie folgt den
breiten Schultern ihres Vaters. Er führt sie dann doch nicht
direkt in die gute Stube, sondern in sein Arbeitszimmer im
Obergeschoss. Ihr ehemaliges Kinderzimmer.
    Â»Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn wir hier oben
reden. Deine Mutter ist vor dem Fernseher eingeschlafen. Sie ist müde
von der Arbeit.«
    Â»Kein Problem.«
    An der Wand steht noch das blaue Ikea-Schlafsofa, auf dem manchmal
ihre Freundinnen übernachten durften, aber niemals Jungs. Darauf
nimmt sie Platz, Utz Engel setzt sich dazu. Es ist kein sonderlich
breites Sofa.
    Â»Ich hörte, du beschäftigst dich mit Tönges?«
    Â»So kann man es auch sagen.«
    Wieder ein Flashback: Janko und sie in derselben Position mit
einem Walkman, jeder hat einen der beiden Ohrstöpsel angelegt,
und sie hören »Always on my mind« in der Version von
den Pet Shop Boys.
    Â»Wie kommst du dazu, der Polizei zu erzählen, ich hätte
Tönges beschimpft?«
    Â»Hast du doch.«
    Â»Liv! Das war eine Ausnahmesituation.« »Er ist
verschwunden. Das ist auch eine Ausnahmesituation.«
    Â»Und was kann ich dafür?«
    Â»Keine Ahnung. Sag du es mir. Kannst du etwas dafür?«
»Nein. Natürlich nicht.«
    Da sie nebeneinander sitzen, müssten sie die Köpfe
wenden, um einander in die Augen zu sehen. Wie auf Verabredung tun
sie es nicht. Stattdessen lässt Liv den Blick im Zimmer
umherwandern: die alte Textilfasertapete in Braun-Beige, das Regal,
auf dem zwischen Sachbüchern einige ihrer liebsten Jugendromane
verstauben, die Dellen im Türrahmen, die entstanden, als sie
ihre Eltern beim Streiten mit Gegenständen bewarf, bevorzugtes
Geschoss: ein schwerer schwarzer Locher.
    Sie bekommt das Gespräch nicht in Gang.
    Â»Warum, Liv? Warum kommen wir nicht miteinander aus? Was
hatte dir mein verantwortungsloser Vater zu bieten, das du bei mir
nicht bekommen konntest?«
    Liv schaut auf ihre grauen Socken, die Füße lächerlich
winzig neben seinen, überhaupt wird ihr an seiner Seite jedes
Mal die eigene Schmächtigkeit bewusst, zugleich scheint es, als
würde er in ihrer Anwesenheit schrumpfen. Utz Engel ist ein Mann
wie ein Bär und dabei ein solcher Schwächling. Sicher, er
leidet, weil sein Leben nicht so verlaufen ist, wie er es sich
vorgestellt hat, aber er setzt seinen Kummer als Waffe ein, um andere
unter Druck zu setzen. Darauf scheint er seine ganze Energie zu
verwenden. Das macht sie aggressiv.
    Â»Weißt du,Liv, ich wollte bei dir alles anders machen,
als ich es von zu Hause kannte.Anders als Tönges. Ich wollte ein
richtiger Vater sein. Mir war Familie wichtiger als beruflicher
Erfolg. Ich habe mich von Anfang an um dich gekümmert, wollte
alles von dir wissen, alles teilen .«
    Â»Merkst du nicht, wie erdrückend das klingt?«,
unterbricht Liv. »Du kannst nie alles über jemanden
wissen. Wie soll das gehen?« Auf ihren Großvater gemünzt,
fügt sie hinzu: »Nix weiß man.«
    Â»Aber du warst ein Kind. Mein kleines Mädchen. Wir
hatten alle Chancen.« Seine rechte Hand kreist in der Luft, und
für einen Augenblick sieht es aus, als wolle er sie auf ihrem
Knie platzieren.
    Liv rückt an den äußersten Sofarand. Sie kennt
das, er hat früher oft Körperkontakt gesucht, einen Arm um
sie gelegt oder eine Hand auf ihre Schulter, solange, bis das Gewicht
der Berührung unerträglich wurde und sie sich ruckartig
daraus befreite. »Vielleicht hast du dich zu sehr gekümmert,
als ich klein war. Kinder brauchen Freiräume. Und Grenzen. Du
und Mama, ihr habt bei mir weder das eine noch das andere geregelt
gekriegt. Tönges schon.«
    Â»Seit wann verstehst du denn etwas von Kindern?«,
fragt er.
    Liv nimmt die Spitze hin, ohne zu antworten, und redet sich ein,
es mache ihr nichts aus. Wie billig von ihm, auf Aaron anzuspielen.
Typisch.
    Â»Jedes Mal, wenn wir versucht haben, dir Grenzen zu setzen,
war Krieg.«
    Â»Deswegen spricht man von Grenzen. Weil es darum geht, sie
zu verteidigen.«
    Â»Heißt das, du wirfst uns vor, wir hätten dich zu
nachlässig erzogen? Was hätten wir denn noch tun sollen:
dich einsperren?«
    Wieder dieser freundliche Unterton, wo er nicht hingehört,
ebenso unpassend wie die Tatsache, dass sie nach wie vor in falscher
Eintracht auf dem Sofa ausharren.
    Â»Ich werfe euch gar nichts vor. Diese ganzen Geschichten

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