Wiedersehen in Virgin River
er einen Blick auf die Fahndungsringe und Treffpunkte geworfen, als das Telefon in der Küche klingelte. Brie ging hin, um das Gespräch anzunehmen, und mit grimmiger Miene kehrte sie in die Bar zurück. „Keine gute Nachricht. In Fortuna haben sie den Mietwagen gefunden. Ich fürchte, er ist es. In dem Truck.“
Preacher ging zu Mel, die herumstand und nervös das Baby an ihrer Schulter schaukelte. „Mel, Chris wird ziemlich bald von seinem Nickerchen aufwachen. Du kannst doch verhindern, dass er Angst bekommt, oder?“
„Natürlich“, beruhigte sie ihn und legte ihre kleine Hand an sein Gesicht. „Es wird okay sein.“
Einen Moment lang schloss er die Augen. „Es ist jetzt schon nicht okay, Mel.“
„John?“, hörte er ein Stimmchen. Und im Durchgang zur Küche stand Chris mit seinem Lieblingskuscheltier, das mit dem blau-grau karierten Flanellbein. „Was masse da, John?“
Preachers Gesicht zerschmolz in ein weiches Lächeln. Er ging zu dem Jungen und hob ihn auf. „Jagen“, erklärte er. „Wir gehen nur ein bisschen jagen.“
„Wo ist Mom?“
Preacher gab ihm einen Kuss auf das rosige Bäckchen. „Sie wird bald zurück sein. Sie muss etwas erledigen. Und du wirst schön bei Mel und Brie bleiben, während wir auf die Jagd gehen.“
Während Wes fuhr, redete er. Dabei sah er Paige nicht an. Seine Augen zuckten etwas wild hin und her, als würde er nach etwas suchen, das er verlegt hatte. Sie fragte sich, ob es an den Drogen lag oder ob er sich in diesen Bergen verfahren hatte, denn öfter als einmal schien er sich im Kreis zu bewegen. Er fuhr eine Straße hinauf, und dann drehte er entweder wieder um oder setzte rückwärts zurück. Aber währenddessen hörte sie ihm zu.
Sie erfuhr, wie sehr er sein Leben in L. A. verabscheute. Diese Frau war bloß ein Mittel zum Zweck. Sie hatte eine Wohnung, wo er sich aufhalten konnte. Auf gar keinen Fall würde er sich einmal in der Woche bei so einem Staatslakeien melden oder jeden Tag zu diesen dämlichen Sitzungen gehen, aber er wusste schon, wie er damit umzugehen hatte. Und dann machten sie in unregelmäßigen Abständen ein Drogenscreening, berichtete er. „Wusstest du das? Ständig wollen sie eine Urinprobe von mir.“ Dann lachte er. „Es gibt viele Orte, wo man gute Pisse bekommen kann.“ Und da wurde ihr alles klar. Er hatte es geschafft, ihnen seit mindestens drei Monaten einen Schritt voraus zu sein. Irgendetwas nahm er, und wenn er nicht sowieso schon einfach völlig verrückt war, dann trugen die Drogen noch dazu bei.
Paige gab keine Antwort. Sie hörte zu und beobachtete. Es war nicht nur deshalb dunkel hier, weil sie auf kurvigen Straßen unter Bäumen durch abgelegene Wälder fuhren, sondern auch, weil die Sonne sank. Nachts im Wald war es auch im Mai noch kalt, und sie fröstelte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden.
„Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie das ist im Gefängnis?“ Mit einer ruckartigen Bewegung wandte er ihr das Gesicht zu. „Schon mal einen Gefängnisfilm gesehen, Paige? Es ist schlimmer als der schlimmste Gefängnisfilm, den du je gesehen hast.“
Sie hob das Kinn und dachte: Verprügeln sie dich dort etwa, Wes? Wie ist das denn? Hm? Aber sie sagte nichts.
„Ich kann immer noch nicht fassen, dass du mir das angetan hast. Ich kann es einfach verdammt noch mal nicht glauben! Als wüsstest du nicht, wie sehr ich dich geliebt habe! Mein Gott, ich habe dir alles gegeben. Hättest du je gedacht, in einem Haus zu leben wie dem, das ich für dich gebaut habe? Hättest du das je gedacht? Ich habe dich aus dieser Absteige rausgeholt, in der du gehaust hast, und habe dich an einen anständigen Ort gebracht, einen Ort mit etwas Klasse. Hast du je etwas gebraucht, das ich dir nicht gegeben hätte?“ Und in diesem Stil redete er pausenlos weiter. Während sie ihm zuhörte, fiel ihr als Erstes auf, wie wahnhaft er war. Es erschreckte und ängstigte sie in gleichem Maße. Er glaubte wirklich, dass ein schönes Haus, ein paar materielle Dinge die Misshandlungen erträglich machen könnten.
Sie dachte an John. Den freundlichen, liebevollen John. Sie erinnerte sich daran, was er ihr über die Angst gesagt hatte. Sie zeigen dir, wie man Tapferkeit vortäuscht. In ihrem Körper schien jeder einzelne Muskel unter ihrer zunehmenden Wut zu zittern. Sie wäre verflucht, wenn sie zuließe, dass dieser wahnhafte Fanatiker ihr – und Chris – diesen süßen Mann raubte.
Und das Nächste, was ihr auffiel: Christopher
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