Wiedersehen mit Mrs. Oliver
Sohn, und Sie liebten ihn. Sie taten alles, was in Ihrer Macht stand um ihm zu helfen, sich ein neues Leben aufzubauen. Unter Ihrer Aufsicht befand sich ein anomales, aber sehr reiches junges Mädchen – ja, sie war sehr reich. Sie verbreiteten das Märchen, dass ihre Eltern alles Geld verloren hätten, dass sie arm wäre und dass Sie ihr geraten hätten, einen um viele Jahre älteren, reichen Mann zu heiraten. Warum sollte man Ihnen diese Geschichte nicht glauben? Außerdem ging es ja auch niemanden etwas an. Ihre Eltern und ihre nahen Verwandten waren tot. Eine französische Anwaltsfirma in Paris befolgte die Anweisungen der Anwälte in San Miguel. Nach ihrer Heirat übernahm Ihre Schutzbefohlene die Verwaltung ihres eigenen Vermögens. Wie Sie mir selbst erzählten, war sie sanft, zärtlich und gefügig. Sie setzte ihre Unterschrift unter jedes Dokument, das ihr Mann ihr vorlegte.
Wahrscheinlich wurden viele Wertpapiere und Aktien gekauft, mit Profit verkauft und umgeschrieben, bis schließlich das gewünschte Resultat erreicht war. Die neue Person, in die Ihr Sohn sich verwandelt hatte – Sir George Stubbs –, war ein reicher Mann geworden, und seine Frau besaß keinen Pfennig mehr. Es ist keine strafbare Handlung, sich ›Sir‹ zu nennen, wenn man den Titel nicht dazu benutzt, sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Kredit zu verschaffen. Durch einen Titel erwirbt man sich das Vertrauen seiner Mitmenschen; er deutet auf eine gute Familie hin oder zumindest auf Reichtum. Und so kaufte sich der reiche Sir George Stubbs Nasse House – er war älter geworden und hatte sich einen Vollbart wachsen lassen –, um dort zu leben, wo er hingehörte, obgleich er seit seiner Kindheit nicht mehr in Nassecombe gewesen war. Nach dem Krieg gab es niemanden mehr, der ihn wiedererkennen würde, mit Ausnahme des alten Merdell, der diese Tatsache jedoch für sich behielt. Nur als er zu mir sagte: ›In Nasse House wird es immer Folliats geben‹, muss er sich heimlich über seinen kleinen Scherz ins Fäustchen gelacht haben.
Wie Sie glaubten, hätte sich alles zur Zufriedenheit entwickelt, und ich nehme an, dass Sie keine weiteren Pläne schmiedeten. Ihr Sohn war ein reicher Mann, lebte in seinem angestammten Heim, seine Frau, obwohl geistig nicht voll entwickelt, war ein schönes und sanftes Geschöpf, und Sie hofften, dass er sie gut behandeln und glücklich machen würde.«
»Ich hoffte, dass es so kommen würde«, flüsterte Mrs Folliat. »Ich wollte für Hattie sorgen, ihr helfen … ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen …«
»Sie kamen nicht auf die Idee – und Ihr Sohn sorgte dafür, dass Sie nichts davon erfuhren, dass er vor seiner Heirat mit Hattie bereits verheiratet war. Ihr Sohn hatte in Triest ein Mädchen geheiratet, und zwar ein Mädchen aus dem Verbrechermilieu, das ihn, nachdem er desertiert war, bei sich versteckte. Sie hatte nicht die Absicht, ihn gehen zu lassen, und auch er wollte sich nicht von ihr trennen. Er heiratete Hattie, um auf diese Weise zu Geld zu kommen, aber seine Pläne standen von Anfang an fest.«
»Nein, nein. Das glaube ich nicht. Das kann ich nicht glauben … Es war diese Frau, diese bösartige Person!«
Poirot fuhr erbarmungslos fort:
»Er plante einen Mord. Hattie hatte keine Verwandten und nur wenige Freunde. Er brachte sie sofort nach seiner Ankunft in England hierher. Die Dienstboten sahen sie am ersten Abend kaum, und die Frau, die sie am nächsten Morgen zu sehen bekamen, war nicht Hattie, sondern seine italienische Frau als Hattie verkleidet, die versuchte, sich mehr oder weniger wie Hattie zu benehmen. Und damit hätte die Sache enden können. Die falsche Hattie würde für den Rest ihres Lebens als die ›richtige‹ Hattie gelten; ihre geistigen Fähigkeiten hätten sich zweifellos im Laufe der Zeit, dank moderner Behandlungsmethoden, wesentlich gebessert. Miss Brewis, die Sekretärin, hatte bereits gemerkt, dass Lady Stubbs keineswegs schwachsinnig war.
Aber dann ereignete sich etwas völlig Unvorhergesehenes. Ein Vetter von Hattie schrieb, dass er mit seiner Jacht zu Besuch nach England kommen werde, und obwohl er seine Kusine seit Jahren nicht gesehen hatte, war es unwahrscheinlich, dass er sich von einer Betrügerin irreführen lassen würde.«
Poirot unterbrach seine Erzählung einen Augenblick, um Atem zu schöpfen, und fuhr dann fort:
»Obwohl mir der Gedanke gekommen war, dass de Sousa nicht der wirkliche de Sousa sein könnte, hatte ich
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