Wiedersehen mit Mrs. Oliver
Buch schreibt? Zuerst muss einem etwas einfallen, und danach muss man sich dazu zwingen, sich hinzusetzen und es aufzuschreiben, das ist alles. Das hätte ich in drei Minuten erklären können, und die Zuhörer wären enttäuscht gewesen. Ich weiß wirklich nicht, warum man immer von Autoren verlangt, dass sie über ihre Bücher sprechen. Man sollte glauben, dass es die Aufgabe einer Autorin ist, zu schreiben und nicht zu reden.«
»Und doch wollte ich Sie gerade etwas im Zusammenhang mit Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit fragen.«
»Bitte fragen Sie, aber wahrscheinlich werde ich Ihre Frage nicht beantworten können«, erwiderte Mrs Oliver. »Man setzt sich einfach hin und schreibt, ach, entschuldigen Sie, ich habe mir für den Vortrag einen geradezu lächerlich unpraktischen Hut aufgesetzt, und ich muss ihn abnehmen. Einen Augenblick bitte.« Es trat eine kurze Pause ein, dann fuhr Mrs Oliver hörbar erleichtert fort: »Heutzutage sind Hüte nur noch ein Symbol, finden Sie nicht? Man trägt sie nicht mehr, um sich vorm Regen zu schützen oder vor der Sonne, oder um sein Gesicht vor Leuten zu verbergen, die man nicht treffen möchte … Verzeihung, sagten Sie etwas, M. Poirot?«
»Es war nur ein Ausruf. Es ist wirklich höchst sonderbar, wie Sie mich immer auf Ideen bringen; das haben Sie mit meinem alten Freund Hastings gemeinsam, den ich seit vielen Jahren nicht gesehen habe. Sie halfen mir eben bei der Lösung eines meiner Probleme, aber das gehört nicht zur Sache … Darf ich Ihnen stattdessen eine Frage stellen? Kennen Sie einen Atomwissenschaftler, Madame?«
»Ob ich einen Atomwissenschaftler kenne?«, fragte Mrs Oliver erstaunt. »Ich weiß nicht … doch, vielleicht kenne ich einen. Bestimmt kenne ich eine Menge Professoren, obwohl ich niemals genau weiß, was sie eigentlich tun.«
»Aber einer der unter Verdacht Stehenden in Ihrem Mörderjagdspiel war ein Atomwissenschaftler, nicht wahr?«
»Ach das – den hab ich nur hineingenommen, um aktuell zu sein. Wissen Sie, als ich neulich ein Geburtstagsgeschenk für meinen Neffen kaufte, sah ich nichts als utopische Romane und Bücher über die Stratosphäre und Raumschifffahrt. Deshalb hielt ich es für richtig, einen Atomwissenschaftler in das Mörderjagdspiel zu bringen, um mit der Zeit zu gehen. Den erforderlichen technischen Jargon hätte ich leicht von Alec Legge lernen können.«
»Alec Legge? Sallys Mann? Ist er Atomwissenschaftler?«
»Ja, er arbeitet zwar nicht in Harwell, sondern irgendwo in Wales, ich glaube, in Cardiff, oder war es Bristol? Das Häuschen bei der Mühle haben sie nur für die Ferien gemietet. Ja, wie Sie sehen, kenne ich wirklich einen Atomwissenschaftler.«
»Wahrscheinlich ist Ihnen die Idee für den Atomwissenschaftler doch erst gekommen, als Sie ihn zufällig in Nasse House kennen lernten, nicht wahr? Aber seine Frau ist keine Jugoslawin.«
»O nein, sie ist Engländerin, eine typische Engländerin. Das haben Sie doch bestimmt bemerkt, M. Poirot.«
»Wieso sind Sie dann auf eine Jugoslawin gekommen?«
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen … Vielleicht durch Emigranten oder Studenten? Wahrscheinlich durch die vielen jungen Ausländerinnen aus der Jugendherberge, die immer unerlaubterweise durch den Wald von Nassecombe wandern und gebrochenes Englisch sprechen.«
»Ich verstehe, ja, jetzt verstehe ich vieles.«
»Es ist auch höchste Zeit«, meinte Mrs Oliver.
»Pardon?«
»Es ist Zeit, dass Ihnen verschiedene Dinge klar werden, bisher scheinen Sie ja gar nichts herausgefunden zu haben.« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll.
»Diese Probleme lassen sich nicht im Handumdrehen lösen«, verteidigte sich Poirot und fügte hinzu: »Auch die Polizei steht vor einem Rätsel.«
»Lassen Sie mich mit der Polizei zufrieden«, sagte Mrs Oliver. »Ja, wenn eine Frau an der Spitze von Scotland Yard stünde …«
Poirot hatte diese Feststellung schon oft aus ihrem Mund gehört, deshalb unterbrach er sie schnell.
»Es war eine höchst verwickelte Angelegenheit, aber jetzt bin ich – im Vertrauen gesagt – meinem Ziel nahe.«
Mrs Oliver schien nicht sehr beeindruckt zu sein.
»Schon möglich«, meinte sie, »aber inzwischen sind zwei Morde verübt worden.«
»Drei«, verbesserte Poirot.
»Drei Morde? Wer ist das dritte Opfer?«
»Ein alter Mann namens Merdell.«
»Davon habe ich noch nichts gehört. Wird es in die Zeitungen kommen?«, fragte Mrs Oliver.
»Nein, da bisher niemand den Verdacht geäußert hat, dass
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