Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Tisch standen noch die Reste eines vorzüglichen Nachtmahls, und überall auf dem Teppich lag Kleidung verstreut.
Agnès zog unter der Decke die Beine an, neigte sich nach vorn, um sich mit den Ellbogen auf den Knien aufzustützen, und fuhr sich mit den Fingern durch ihr dichtes Haar. Dann hob sie langsam den Kopf. Sie fühlte sich schon besser, aber sie wusste, dass sie nur eine kleine Verschnaufpause gewonnen hatte. Die Meute würde wiederkehren, und sie würde noch immer ausgehungert sein und vielleicht sogar noch blutrünstiger. Sie konnte nichts tun, als es einfach hinzunehmen.
Und leben.
Agnès hatte sich schon beinahe wieder gefasst.
Ohne den neben ihr schlafenden Mann zu stören, erhob sie sich und zog ein zerknittertes Laken hinter sich her, in das sie sich bereits im Gehen einwickelte. Sie war recht groß, dabei schlanker und muskulöser als die meisten Frauen ihrer Zeit, die darauf achteten, üppig geformt zu bleiben, um verführerisch zu wirken. Aber sogar nach damaligen Kriterien war sie nicht ohne Reiz. Ihre Gesten und der Gang waren anmutig, ihre reservierte Schönheit von einer fast hochmütigen und herausfordernden Heftigkeit. Sie schien die Niederlage eines jeden, der sich brüstete, sie erobern zu wollen, vorherzusagen.
Schwere schwarze Locken umspielten das schmale, entschlossene Gesicht, dessen Blässe sie noch unterstrichen. Ihre vollen dunklen Lippen lächelten nur selten, ebenso wenig wie ihre smaragdgrünen Augen, in denen ein kaltes Feuer brannte. Und trotzdem hätte es wohl nur ein wenig Freude bedurft, um alles an ihr neu erstrahlen zu lassen.
Agnès hatte das Laken mit der linken Hand über der Brust zusammengerafft und sammelte die zerknitterten Kleider und Unterröcke auf, die sie am Abend zuvor getragen hatte. Weiße Strümpfe umhüllten noch ihre langen Beine. Mit der freien Hand hob sie nacheinander mehrere Flaschen hoch und schwenkte sie, bis sie schließlich eine gefunden hatte, die nicht ganz leer war. Den restlichen Wein schüttete sie in ein Glas, das sie zum Fenster trug. Der laue Wind der Mainacht streifte sie, und von der ersten Etage aus fiel ihr Blick auf den Hof ihres Herrenhauses und die angrenzende Landschaft, bis hin zum fernen Schimmern des Flusses Oise.
Agnès nippte an ihrem Wein, während sie darauf wartete, dass der Morgen anbrach.
Im Morgengrauen war das Laken leicht verrutscht und enthüllte ein Mal auf ihrem Schulterblatt, das schon einige ihrer Liebhaber beunruhigt hatte. Es wurde gemunkelt, Agnès besäße Hexenkräfte. Während sie noch immer am Fenster saß, spielte sie verträumt mit dem Siegelring, den sie um den Hals trug – das Schmuckstück aus stumpfem Stahl war mit einem griechischen Kreuz auf Lilienflor verziert, gekreuzt von einem Rapierschwert. Da hörte Agnès den Mann, der erwacht war. Sie ließ den Ring los, bedeckte ihre Schultern, drehte sich jedoch nicht um, während er sich ankleidete. Dann verließ ihr Gast ohne ein Wort das Zimmer. Kurz darauf
sah sie ihn in den Hof treten und den Kutscher wecken, der unter der noch angespannten Kalesche schlief. Ein Peitschenknallen, die Pferde schnaubten, und schon bald war von dem Wagen des Mannes, der bereits der Vergessenheit anheimfiel, nicht mehr als eine Staubwolke über der steinigen Allee zu sehen.
Als die Glocken der umliegenden Dörfer zur ersten Messe des Tages mahnten, erwachte auch das Gutshaus zum Leben. Ein Bursche nahm gerade die Anordnungen des Stallmeisters entgegen, da verließ schließlich auch Agnès de Vaudreuil ihren Platz am Fenster. Nach einer schnellen Morgentoilette flocht sie ihr langes Haar eilig zu einem dicken Zopf. Sie wechselte die Strümpfe, schlüpfte in knielange Hosen, zog ein Hemd mit ausladendem Kragen an und schnürte sich darüber das gewohnte Mieder aus rotem Leder. Sie wählte ihre besten Reitstiefel, legte einen Schwertgurt um und befestigte das Rapier daran, das neben der Tür in der Scheide gesteckt hatte.
Der Degen war speziell für sie angefertigt worden, geschmiedet in Toledo aus vortrefflichem Stahl. Sie zog das Rapier, um seine vollkommene Klinge, den schönen Glanz, die Geschmeidigkeit und Schärfe zu bewundern, und deutete einige Stöße, Paraden und Konter an. Dann ließ sie mit dem Daumen eine Klinge aus dem Schwertknauf vorschnellen, lang wie eine Hand und genauso spitz und scharf wie ein florentinisches Stilett, und betrachtete die Waffe fast liebevoll.
3
Als Richelieu starb, bestand das Kardinalspalais aus einem prachtvollen
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