Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
dieser Nacht lange Zeit Vorwürfe gemacht«, räumte La Fargue ein.
»Das hättest du dir früher überlegen müssen!«
»Auch Oriane hat sich deswegen sehr gegrämt. Aber das
war vor La Rochelle, bevor deine wahre Natur ans Licht kam, bevor du zum Verräter wurdest.«
»Ich musste damals eine Entscheidung treffen. Heute weiß ich, dass sie richtig war. Ich erkenne es an dir. Du hast nichts. Du bist nichts. Aber ich …«
»Du bist reich. Aber, Louveciennes, du hast schwere Schuld auf dich geladen. Brettevilles Tod ist nur dir anzulasten.«
»ICH BIN DER GRAF VON PONTEVEDRA!«, brüllte das frühere Mitglied der Klingen.
»Wir wissen beide, wer du wirklich bist«, entgegnete La Fargue ungerührt.
Er hatte sich bereits zum Gehen gewandt und die Hand auf den Türknauf gelegt, als Pontevedra ihm hinterherrief: »Ich werde Anne finden. Egal, wo du sie versteckst, ich werde sie finden!«
La Fargue dachte an seine Tochter, die er kaum kannte und wahrscheinlich auch nicht wiedersehen würde. Zur Stunde befand sie sich da, wo sie niemand suchen würde: in der Rue de la Grenouillère , in der Obhut der schönen Gabrielle und ihrer liebreizenden Zöglinge.
Doch dort konnte sie natürlich nicht für immer bleiben.
»Nein«, verkündete La Fargue. »Du wirst sie nicht finden. Du wirst sie vergessen.«
Der Botschafter brach in schallendes Gelächter aus. »Was hast du mir schon zu befehlen. Gegen mich kannst du nichts ausrichten, La Fargue! Gar nichts!«
»Doch. Du hast deinen diplomatischen Auftrag dazu genutzt, persönliche Ziele zu verfolgen. Du hast intrigiert und gelogen. Damit hast du deine Mission aufs Spiel gesetzt und das Vertrauen deines Königs missbraucht. Indem du verlangt hast, die Klingen und ich sollen den vermeintlichen Chevalier
d’Irebàn suchen, hast du sogar dafür gesorgt, dass sich eine Gruppe von Männern wieder zusammentut, die Spanien schon bald Anlass zur Klage geben wird. Du wolltest uns, weil wir die Besten sind. Und jetzt sind wir wieder da. Denkst du vielleicht, Richelieu wird einfach wieder auf unsere Dienste verzichten wollen? Nein, Louveciennes. Die Klingen des Kardinals sind zurück. Deine Herren werden das schon bald zu spüren bekommen … Also denk einmal nach. Möchtest du wirklich, dass all dies bekannt wird?«
»Willst du mir drohen?«
»Ich biete dir nur mein Schweigen, für meine Tochter. Du hast keine Wahl. Ach ja, da wäre noch etwas …«
»Was?«
»Sollten wir uns noch einmal sehen, werde ich dich töten. Gute Reise zurück nach Spanien.«
La Fargue ging und ließ die Tür hinter sich offen.
EPILOG
Die Nacht war bereits angebrochen, als La Fargue an jenem Tag ins Palais Épervier zurückkehrte.
Er brachte sein Pferd in den Stall, nahm ihm den Sattel ab und wischte es sorgfältig mit Stroh trocken. Anschließend ging er über den Hof zum Hauptgebäude hinüber. Schon auf der Eingangstreppe schallte ihm Lachen, Gesang und Geplauder entgegen.
Schmunzelnd trat er über die Schwelle und beobachtete vom Vestibül aus durch die geöffnete Tür das ausgelassene Treiben im großen Saal.
Die Klingen hatten sich zu einem fröhlichen Festmahl versammelt. Alle waren gekommen.
Ballardieu und Marciac hatten sich von ihren Stühlen erhoben und gaben mit recht schiefen Stimmen ein Liedchen zum Besten. Agnès strahlte und lachte schallend über die beiden. Leprat klatschte im Takt des Gesangs in die Hände und stimmte von Zeit zu Zeit in den Chor ein. Sogar der meist so strenge Almadès lachte über die Späße der anderen, und Marciac ließ sich ohnehin nie lange bitten, wenn es ums Feiern ging.
Die sonst so scheue Naïs bediente munter die fröhliche Runde, ohne etwas von dem Ständchen der beiden Männer zu verpassen.
Und der alte Guibot klopfte weinselig mit seinem Holzbein den Takt dazu.
O wunderbare Flasche!
Warum verschließest du
Den so begehrten Saft
In spröder Weidenflechte?
Warum verbergest du
Funkelnd Bernstein und Rubin
In ach so trübem Taft?
Wirf ab die Weidenflechte
Zeig dich ganz unverblümt
Erfreue Aug und Mund uns
Mit deiner süßen Kraft
Aus Bernstein und Rubin
Ist unser Lebenssaft
Alle schienen glücklich zu sein, und La Fargue beneidete sie um ihr Glück, ihre Unbekümmertheit und ihre Jugend. Er hätte der Vater von fast allen hier sein können, und in gewisser Weise war er es auch.
Zumindest war er es einmal gewesen.
Früher hätte er sich zu ihnen gesellt. Doch heute zögerte er. Im Vorbeigehen schloss Naïs, ohne ihn
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