Wikinger der Liebe
sie in groben Zügen. Doch sie spürte, dass sich im unbekannten Reich der Sinne noch viel mehr verbarg - seltsame Dinge, die Grauen oder Entzücken bewirken mochten.
Wie auch immer, Lord Hawk hatte sie zu seiner Braut erkoren, um ein Bündnis zu festigen, das seinem und ihrem Volk den Frieden bringen würde. Damit bewies er sein Verantwortungsgefühl. Und es verdiente Krystas Anerkennung. Doch die Angst vor den Rechten eines Ehemanns und den Pflichten einer Ehefrau trieb ihr das Blut in die Wangen, und ihre treuen Diener nickten sich verständnisvoll zu.
»Ach ja, die Sterblichen«, murmelte Thorgold, bevor er in den Hof schlenderte. Nun musste er ein paar seiner Habseligkeiten in die Männerhalle bringen und den Eindruck erwecken, er würde dort schlafen. Die kleine Brücke, die er vor ihrer Ankunft auf Hawkforte entdeckt hatte, gefiel ihm viel besser.
»Ruh dich aus, Raven«, schlug Krysta ihrer Freundin vor. Die Reise übers Meer und dann im Pferdesattel hatte sie alle ermüdet. Doch die Dienerin war am ältesten. Wie viele Jahre sie schon zählte, wusste ihre Herrin gar nicht. Nachdem sie das Ziel erreicht hatten, sollte sich die alte Frau eine Atempause gönnen.
Davon wollte sie jedoch nichts wissen. »Auf dem Rücken eines Pferdes sieht man nicht viel von einer Gegend. Jetzt will ich Lord Hawks Besitz begutachten und feststellen, wie viel Macht er ausübt.«
Ohne ein weiteres Wort eilte sie aus dem Alkoven, und Krysta fand keine Gelegenheit, die Freundin zur Vorsicht zu ermahnen. Wenig später flatterten Schwingen am Ende der Halle.
Auch Krysta verließ das Gebäude, nachdem sie ihr Kleid geglättet und ihr Haar gebürstet hatte. Eine Zeit lang blieb sie im Hof stehen und genoss den warmen Sonnenschein, bevor sie das rege Leben und Treiben beobachtete. Hawkforte lag an der britannischen Südostküste, in einem Gebiet namens Essex. Auf einer Landzunge errichtet, erhob sich die Burg zwischen geschützten Buchten. Entlang der hölzernen Wälle reihten sich Wachtürme in regelmäßigen Abständen aneinander und boten einen ungehinderten Ausblick, landeinwärts und aufs Meer. Drei Stockwerke hoch, überragte der mittlere Turm die anderen. An norwegische Festungen gewöhnt, war Krysta unwillkürlich beeindruckt.
Tagsüber standen die breiten Holztore in den Außenmauern offen. Unentwegt gingen Menschen und Pferde ein und aus, Wagen rollten herein oder heraus. Voller Neugier musterte Krysta die Sachsen, die im Gegensatz zu albernen Gerüchten weder Hörner noch Hufe aufwiesen. Lächelnd sah sie ihre eigenen vernünftigen Erwartungen bestätigt. Das waren Menschen wie alle anderen auch. Bald würde sie diesem Volk angehören, und ihr Ehemann sollte die Heirat niemals bereuen - was immer seine Schwester Daria auch behaupten mochte.
Ja, sie wollte die beste Ehefrau sein, die sich Lord Hawk nur wünschen konnte - eine Zierde seiner Halle, ein Trost in schweren Tagen, eine Stütze bei seinem Bestreben, die beiden Völker friedlich zu vereinen. Konnte er noch mehr verlangen? Wohl kaum. Deshalb würde er sie lieben, wie sie geliebt werden musste, und sie würde nicht das gleiche Schicksal erleiden wie ihre Mutter.
In ihren Augen bebte ein Schatten, das dumpfe Echo alter Qualen bedrückte ihre Seele. Ihre Mutter... Vor so langer Zeit war sie entschwunden, denn sie hatte ihr Leben für eine sterbliche Liebe gewagt und verloren. Gewiss, der Vater hatte die Mutter begehrt, aber nicht geliebt, wie es nötig gewesen wäre. So zerriss das dünne Band zwischen ihnen. Die Mutter musste nicht nur auf das erträumte Glück, sondern auch auf ihr Kind verzichten. Krysta blieb in Thorgolds und Ravens Obhut zurück. Während sie heranwuchs, warnten die beiden sie immer wieder vor dem Schicksal der Mutter, das auch ihr drohen könnte. Nur flüchtig dachte sie darüber nach, denn der Gedanke, ein Mann würde in ihr Leben treten, erschien ihr völlig absurd - bis sie ins Herrschaftshaus ihrer Familie gerufen wurde. Dort hatte sie vor den hasserfüllten Augen ihres Halbbruders gestanden und erfahren, sie müsse einen Fremden heiraten. Wenn er sie nicht liebte, würde er unwissentlich ihr Leben zerstören...
Nein, das darf nicht geschehen, entschied sie. Hawk würde sie lieben. Daran zweifelte sie nicht, obwohl sie nur wenig über die Männer wusste - und über die Ehe noch weniger. Da sie fürchtete, in ihrer Unkenntnis der Dinge einen verhängnisvollen Fehler zu begehen und alles zu verderben, hatte sie den ungewöhnlichen, aber
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