Wikinger meiner Traeume - Roman
beiseite und entblößte einen verkrümmten Körper. Mittelgroß und schlank gebaut, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mit offenem braunem Haar, entsprach der Mann genau Ryccas Beschreibung des
Merciers, den sie in Landsende gesehen hatte. Seine Augen waren geschlossen, seine Haut zeigte die Blässe des Todes. An der rechten Seite des Kopfs klaffte eine tiefe Wunde, die ihn zweifellos ins Jenseits geschickt hatte.
»Schaut Euch sein Handgelenk an, Mylord«, bat der andere Bauer unterwürfig, doch er konnte seine Erregung nicht verhehlen. Der Tote trug ein schlichtes langärmeliges Hemd und eine Hose.
Als Dragon den Ärmel am linken Handgelenk hochkrempelte, entdeckte er eine Tätowierung – zwei umeinander gewundene Schlangen, und jede versuchte die andere zu fressen.
»Verzeiht mir, Mylord. Aber Lady Rycca sagte doch, jemand habe sie aus Eurem Stall entführt«, erinnerte ihn einer der Männer. »Dabei sah sie zwei Schlangen. Vielleicht waren es diese.«
Vor lauter Erleichterung wurde Dragon fast schwindlig. In seiner Seele hatte der Wunsch, seiner Frau zu glauben, gegen den bösen Verdacht gekämpft und gesiegt. Dafür war er jetzt dankbar, und die Bestätigung seines Vertrauens beglückte ihn.
Doch die Freude über ihre Unschuld wurde sofort von einem wilden Zorn verdrängt, der sein Blut in Wallung brachte. Zum ersten Mal in seinem Leben verstand er die Gefühle der legendären Berserker. Von unbändiger Mordlust getrieben, hatten sie auf den Schlachtfeldern übermenschliche Kräfte entwickelt.
Um diese helle Wut zu bezähmen, musste er seine ganze formidable Selbstkontrolle aufbieten, und ihr Erfolg stand keineswegs fest. Wäre der Mann aus Wolscroft noch am Leben gewesen – Dragon wusste nicht, ob er sich lange genug beherrscht hätte, um ihn zu verhören, statt ihn sofort zu töten. Jetzt spielte diese Überlegung keine Rolle mehr, denn der Mercier hatte seine Geheimnisse in eine andere Welt mitgenommen.
Immerhin stand nun fest, warum er nach Landsende gekommen war.
»Bringt ihn in die Festung«, befahl Dragon den Bauern und ritt den Hang hinauf.
Im Hof, dicht vor dem Marterpfahl, zügelte er den Hengst so abrupt, dass Erdklumpen unter den Hufen hervorflogen. Dragon sprang aus dem Sattel und kniete neben Rycca nieder. Bevor er sie von den demütigenden Fesseln befreit hatte, würde ihm seine Stimme nicht gehorchen. Mit bebenden Händen löste er die Stricke.
»Was ist geschehen?«, fragte sie, während er sie auf die Beine zog. Mühsam widerstand er der drängenden Versuchung, sie zu umarmen, denn er wusste nicht, ob sie die Liebkosung dulden würde. Dass sie letzte Nacht seine Absicht erkannt hatte, milderte seine Gewissensqualen nicht. Er hatte sie als Lockvogel benutzt und – schlimmer noch – zu Unrecht verdächtigt.
»Vorhin wurde ein Toter gefunden.« Sofort bereute er seine Worte. Bei allen Göttern, besaß er denn nicht die Gabe eines Skalden? Natürlich hätte er seiner Frau, die so viel durchgemacht hatte, die Neuigkeit möglichst schonend beibringen müssen. Aber sie wirkte kein bisschen entsetzt, nur neugierig. »Tatsächlich? Wer ist es?«
»Ich nehme an, der Mann aus Wolscroft. Zumindest trifft deine Beschreibung auf ihn zu.«
Darüber dachte sie eine Zeit lang nach und wischte den Staub von ihrem Rock. »Und ich glaubte schon, ich hätte mir nur eingebildet, ihn wieder zu erkennen.«
»Offensichtlich nicht. Genauso wenig sind die Schlangen deiner Fantasie entsprungen – sie wurden auf sein Handgelenk tätowiert.«
»Das war’s also... Er hielt mir Mund und Nase zu, und ich konnte nicht atmen. Kurz bevor mir die Sinne schwanden, fiel mein Blick auf seinen anderen Arm, der meine Taille umschlang.
Dabei muss ich die Tätowierung gesehen haben.« Sie sprach in beiläufigem Ton – was Dragon nicht gelang.
»Wäre er bloß noch am Leben!«
»Gewiss, dann könntest du ihn ins Verhör nehmen und herausfinden, was ihn zu seinen Missetaten trieb.«
»Eigentlich meinte ich eher die Genugtuung, die es mir verschafft hätte, ihn zu töten.«
Rycca warf ihm einen kurzen Blick zu. »Darauf musst du wohl oder übel verzichten. Woran ist er gestorben?«
»Vermutlich an einem Schlag auf den Kopf.«
»Oder er ist in dichtem Nebel gestrauchelt und gestürzt.«
Auch das war möglich. Aber Dragon wollte sich etwas mehr Zeit für solche Überlegungen nehmen. Mittlerweile hatte er genug falsche Schlüsse gezogen. Die Bauern, von seinen Rittern begleitet, brachten den Toten in den Hof. Aus
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