Wikinger meiner Traeume - Roman
allen Richtungen eilten Schaulustige herbei.
Dragon ergriff die Hand seiner Frau, hielt sie hoch und rief: »Lady Rycca ist unschuldig! Heute wurde der wahre Täter gefunden!«
Erfreut nickten die Leute. Einige Frauen musterten ihn vorwurfsvoll, die meisten Männer voller Mitgefühl, und er unterdrückte ein Stöhnen. Nach Ryccas Ansicht besaß sie schon genug Kleider. Auf Juwelen schien sie keinen Wert zu legen. Zwei prächtige Pferde durfte sie jeder Zeit reiten. Wie sollte er wiedergutmachen, was er ihr zugemutet hatte?
»Du hast getan, was nötig war.«
Verwirrt drehte er sich zu ihr um und misstraute seinen Ohren.
»Oh, missversteh mich nicht, Dragon – ich fand es keineswegs angenehm, die Nacht hier draußen zu verbringen, wie eine Ziege an einen Pfahl gebunden. Trotzdem hast du einen vernünftigen Plan durchgeführt.«
Ihr Verständnis bewegte ihn zutiefst. »Leider ohne Erfolg. Ich dachte, der Schurke würde über dich herfallen.«
»Glücklicherweise war er um diese Zeit schon tot.« Davon hatte sie sich mit einem kurzen Blick auf die Leiche überzeugt. Der Mann musste vor mehreren Stunden gestorben sein, vermutlich schon am Vortag.
»Bist du erfahren genug, um so etwas zu beurteilen?«, fragte Dragon.
»In Wolscroft war der Tod sehr oft zu Gast.«
»Und das erinnert mich an deinen Vater...«
Bestürzt wandte sie sich zu ihm, die Augen übergroß in ihrem bleichen Gesicht, und er erkannte, dass sie genauso erschöpft war wie er, obwohl sie eine Zeit lang geschlafen hatte. »Weißt du, wie gedemütigt ich mich fühle, weil ich die Tochter eines solchen Mannes bin?«, flüsterte sie.
»Nimm’s nicht so schwer. Vielleicht hat ihn deine Mutter betrogen.«
»Wie gern würde ich daran glauben! Jahrelang war das mein liebster Wunschtraum. Aber sie war zu schwach und zu feige, um ihn zu hintergehen, also muss ich von ihm abstammen.«
»Trotzdem gleichst du ihm kein bisschen. Darüber haben wir schon einmal gesprochen, und du weißt, wie ich darüber denke.«
Sie schaute ihn schweigend an, und ihre Augen verrieten alles, was sie empfand.
Zärtlich zog er ihre Hände an die Lippen. »Ich habe einen Fehler begangen.«
«Weil du deine Frau mit einer Ziege verwechselt hast?«
Wie schwierig es doch war, mit einer Frau verheiratet zu sein, die stets die Wahrheit erkannte... Er durfte sie nicht belügen. Er holte tief Atem und schickte ein stummes Gebet zu den Göttern. »Eine Zeit lang – nur ganz kurz – hielt ich dich für schuldig.«
Die Wahrheit.
Lächelnd entzog sie ihm ihre Hände und umfasste sein
Gesicht. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, und ihr Mund berührte seinen.
»Womit habe ich diesen Kuss verdient?«, fragte Dragon, erleichtert und verblüfft zugleich. Immer wieder würde sie ihn überraschen. Doch das störte ihn nicht, denn das Schicksal meinte es gut mit ihm. Eine schwere Last fiel von seiner Seele.
»Mit deinem Vertrauen an mich.«
»Gestern habe ich dir misstraut.«
»Nein, ich meine etwas anderes – du glaubst an meine Fähigkeit, immer die Wahrheit zu erkennen.«
»Und das weißt du, weil...«
Lachend griff sie wieder nach seiner Hand. »Weil du ein kluger Mann bist, Mylord. Wie leicht könntest du behaupten, du hättest niemals mit dem Gedanken gespielt, ich wäre schuldig... Damit würdest du dir ein paar eheliche Unannehmlichkeiten ersparen.«
Über diese Worte ärgerte er sich nur sekundenlang, denn er musste nicht an ihrer Bereitschaft zweifeln, ihm zu verzeihen. »Meistens sage ich ohnehin die Wahrheit, weil ich die Lüge verabscheue.«
»Etwas anderes hätte ich nie vermutet. Auch ich möchte ehrlich sein. Letzte Nacht merkte ich plötzlich, dass ich keine Angst hatte. Unter diesen Umständen war das grotesk, aber ich fürchtete mich kein bisschen.«
Befreit atmete er auf. Wenn eine Frau, die allen Grund hatte, die Wikinger zu fürchten, und von einem Wikinger an den Marterpfahl gefesselt wurde, keine Angst empfand – dann konnte das nur eins bedeuten. »Du vertraust mir.«
»Und du mir.«
In diesem Augenblick sah er nicht wie ein mächtiger Krieger und Jarl aus, sondern wie ein kleiner Junge, dem man die Welt geschenkt hatte. Und die wollte sie ihm immer wieder zu Füßen legen. »Nach unseren anfänglichen Schwierigkeiten
kommen wir ganz gut miteinander aus, nicht wahr?«, wisperte sie.
Nach diesem erfreulichen Gespräch mussten sie sich wohl oder übel mit dem Toten befassen, und Dragon war seinem Schicksal dankbar, das ihm eine zart
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