Wikinger meiner Traeume - Roman
drückte er ihr den Schwertgriff in die Hand. »Hier, versuch es selbst.«
Als sie die Krieger nach Luft schnappen hörte, ahnte sie, was sie dachten. Eine solche Waffe war für Männer bestimmt – für die Allerstärksten. Trotzdem übergab Dragon das Schwert der fremden Frau, der sie erst vor zwei Tagen zum ersten Mal begegnet waren, die nur gebrochen norwegisch sprach und-falls die Gerüchte zutrafen-den Jarl nurwiderstrebend geheiratet hatte.
Vor einer solchen Herausforderung wollte sie nicht zurückschrecken. Inständig hoffte sie, ihrem Mann keine Schande zu bereiten, und umklammerte das Schwert. Es erschien ihr nicht so schwer wie die Waffen, die sie in Wolscroft heimlich ausprobiert hatte. Anmutig schwenkte sie es hin und her, in kleinen, kontrollierten Bögen. Thurlow hatte ihr beigebracht, wie man mit einem Schwert umging – nur in groben Zügen, aus Angst, sie könnte eines Tages vor lauter Verzweiflung die älteren Brüder oder sogar den Vater attackieren. Obwohl das ihren sicheren Tod bedeutet hätte, war sie manchmal nahe daran gewesen, einen solchen Angriff zu wagen.
Nun richtete sie die stählerne Spitze spielerisch auf Dragons muskulöse Brust. »Schade, dass du kein zweites maurisches Schwert besitzt...«
»Doch, ich habe auch für Wolf eins gekauft.« Nur sekundenlang erlaubte er ihr zu überlegen, ob er sich die andere Waffe tatsächlich bringen lassen würde. Dann bewies er, dass er nichts dergleichen brauchte, um seiner Gemahlin einen schmerzlichen Schlag zu versetzen. »Übrigens, er wird uns mit Cymbra besuchen.«
»W-w-was?« Kraftlos ließ sie die Klinge sinken.
»Noch heute werden mein Bruder und seine Frau in Landsende eintreffen. Ich dachte, das würdest du gern wissen.«
Zum Teufel mit seinem breiten Grinsen... »Natürlich! Allmächtiger, nur mehr wenige Stunden bis zu ihrer Ankunft! Warum hast du mir nicht früher Bescheid gegeben?«
Behutsam nahm er ihr das Schwert aus der Hand, das sie völlig vergessen hatte. »Welche Rolle spielt das schon? Um die Mahlzeit kümmert sich Magda, in dem Haus, das Wolf und Cymbra stets bewohnen, ist alles vorbereitet. Und du...« Ehe er weitersprach, musterte er sie so eingehend, dass seine Männer lachten. »Nach meiner Meinung siehst du gut genug aus.«
Am liebsten hätte sie ihm die Waffe wieder entrissen und an seine Kehle gehalten.
Offenbar erriet er ihre Gedanken, denn er steckte das Schwert hastig in die Scheide. Dann versicherte er leise, nur für Ryccas Ohren bestimmt: »Alles wird gut verlaufen, meine Süße.«
So gern hätte sie ihm geglaubt... Aber sie hegte ernsthafte Zweifel. Niemals würde Lady Cymbra ein Schwert auf ihren Mann richten, schon gar nicht vor den Augen seiner Krieger, oder ein Knie zwischen seine Schenkel rammen. Für ihre Schönheit und ihre Heilkunde war sie weithin berühmt. Als würde das nicht genügen, lobte man auch noch ihre überragende Kochkunst.
Und sie würde hierher kommen. Rycca unterdrückte ein Stöhnen. Welch ein missgünstiges Schicksal...
Ein paar Stunden später ankerte das Drachenschiff mit dem Wolfsemblem am Segel im Hafen von Landsende. Nur mühsam hatte Dragon seine Frau dazu überredet, ihn auf den Kai zu begleiten und die Gäste zu begrüßen. Nun hielt er ihre Hand eisern fest, falls sie einen Fluchtversuch erwägen sollte. Nicht, dass sie mit diesem Gedanken spielte. So feige war sie nicht. Außerdem – wohin könnte sie laufen?
Also stand sie möglichst würdevoll neben ihm und dachte dankbar an Lady Krysta, eine weitere mustergültige Ehefrau, die ihr eine luxuriöse Garderobe beschafft hatte. Trotzdem gab es sicher einiges an ihrer Erscheinung auszusetzen. Sie hatte ihr Bestes getan, um das Kleid nicht zu beschädigen.
Aber ihre Haare waren wahrscheinlich zerzaust, die Wangen zu stark gerötet, und ihrer Pose mangelte es gewiss an weiblicher Grazie. Jeder würde sie für eine unpassende Gemahlin eines Jarls halten.
Insbesondere der hoch gewachsene, dunkelhaarige, schwarz gekleidete Mann, der jetzt seine Hand einer Frau reichte und mit ihr von Bord ging... Er war so groß wie Dragon und offenkundig ein ebenso formidabler Krieger. Wie Rycca vermutete, hatte er auch gewinnende Züge. Doch sie betrachtete ihn nur flüchtig, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt seiner Gemahlin.
Was sie sah, krampfte ihr Herz schmerzhaft zusammen. Lady Cymbra war die personifizierte Schönheit. Kastanienrote, mit goldenen Strähnen durchzogene Locken fielen fast bis zu ihren Knien hinab.
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