Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
wehmütiges Lächeln zog über sein Gesicht und ließ ihn Jahre älter aussehen, als er war. »Er kann instinktiv damit umgehen, als wäre er mit einem Gewehr in der Hand geboren. Er hat einen siebten Sinn dafür. Dieser Treffer im Nebel – es ist wie Magie.«
    »Ja«, sagte ich, und ich dachte: Wie kann er wissen, was mich so erschreckt hat, noch bevor ich es selbst wusste?
    »Ich muss zurück zu den anderen«, sagte er. »Geh zu Alfred. Richte ihm aus, dass Orion den Test bestanden hat. Er soll dir erklären, was das bedeutet.«
    Auf einmal war mein Mund ganz trocken, ein Kloß saß in meinem Hals. Welche Wahrheit auch immer meinem Freund bevorstand, ich fürchtete mich davor.
    Alfred hatte einen Patienten, ein Kind, dem ein Splitter ins Auge geraten war. »Ah, Pia, gut, dass du kommst«, sagte er sofort. »Kannst du unserem kleinen Timmi hier die Hand halten? Ein tapferer kleiner Bursche, aber ein Zappler, ohne Frage. Wir machen es so – er nimmt deine Hand und überträgt das Gezappel auf dich. In Ordnung?«
    »Das geht?«, fragte der Junge überrascht.
    »Klar geht das«, sagte ich und streckte ihm meine Hand hin. »Drück nur immer fest zu, du wirst schon sehen.«
    Der Kleine quetschte meine Finger, so gut er konnte, und ich verzerrte mein Gesicht, denn mir fiel keine bessere Methode ein, wie ich zappeln sollte, ohne den Doktor bei der Arbeit zu stören. Also schnitt ich die übelsten Grimassen, der Junge lachte, erinnerte sich gleich darauf wieder an den Schmerz, und ich sagte: »Jetzt muss du einen Moment ganz stillhalten, damit ich das Gezappel tanken kann. Dann wird es ein ganz monstermäßiges Zappeln, ich versprech’s.«
    Er hielt eine Sekunde still, die Alfred genügte, um den Splitter aus seinem Auge zu ziehen. Ein Schrei. Ein Schluchzer. Ein Fläschchen mit Tropfen. Noch ein Schrei, ein Gejammer von etwa zehn Sekunden. »Es brennt, au, es brennt!«
    Ein Pflaster, dick und weich, mitten übers Auge. Mit dem anderen blinzelte Timmi die Tränen weg. Ich hielt mein Versprechen und tanzte ihm etwas vor. Nicht sehr schön, nicht so, wie Moon getanzt hätte, aber es reichte, um ihn zum Lachen zu bringen.
    Alfred geleitete den Kleinen nach draußen.
    »Und wo drückt bei dir der Schuh?«
    »Orion hat den Test bestanden«, sagte ich. »Welchen Test auch immer.«
    Er nickte. Seufzte. »Gabriel hat dich geschickt?« Dann nahm er den Wasserkessel vom Solarkocher. Alfred war der Einzige im Lager, der immer kochendes Wasser zur Verfügung hatte. »Tee? Wärst du älter, würde ich dir etwas Stärkeres anbieten.«
    »Tee ist gut«, sagte ich, obwohl mir überhaupt nicht danach war, etwas zu trinken. Ich wollte diese Wahrheit, die ich gleich zu hören bekommen würde, überhaupt nicht wissen. Aber Gabriel hatte mich hergeschickt, und hier war ich.
    Alfred hantierte umständlich mit den Bechern, dem Teekraut, dem Wasser. Auch ihm war unbehaglich zumute.
    Schließlich setzte er sich mir gegenüber, er auf der Patientenmatte, ich auf seinem Hocker.
    »Weißt du, wie in Neustadt Kinder gemacht werden?«

25.
    Ich verschluckte mich fast und spuckte einen Schwall Tee auf meine Hose. »Ich bin aufgeklärt, ja.«
    »Davon gehe ich aus. Aber so läuft es eben nicht. Ein Mann und eine Frau, die Sex haben und daraus wird ein Kind … nicht in Neustadt. In Neustadt kann man sich angeblich ein Kind nach seinen Wünschen zusammenstellen lassen. Und nach seinem Geldbeutel. Ein schönes Kind, ein kluges, ein sportliches. Oder alles zusammen. Und manche Kinder sehen daher fast gleich aus. Oder?«
    Ich wusste nicht recht, worauf er hinauswollte. »Sie entnehmen das befruchtete Ei«, sagte ich. »Und behandeln es.«
    »Wie?«, fragte er.
    Das hatten wir tausend Mal in Biologie gehabt, aber ganz hatte ich es nie kapiert. »Krankheiten werden im Vorfeld geheilt. Unerwünschte Abschnitte der DNS werden deaktiviert und dafür andere aktiviert. Oder so ähnlich.«
    »Was haben deine Eltern bei dir machen lassen?«
    Wieder griff der alte Schmerz nach mir. Dass meine Eltern nicht genug Geld gehabt hatten. Dass meine Erbmasse nicht überprüft und gereinigt und verbessert worden war.
    »Nichts«, sagte ich und senkte den Kopf. »Wir haben nicht so viel Geld.«
    »Nichts?« Alfreds Leidensmiene löste sich auf. »Aber das ist ja fantastisch! Das macht es mir schon mal leichter, wenn du nicht betroffen bist.«
    »Betroffen wovon? Ich konnte nie mit den anderen mithalten. Ich bin ein Fehlschlag. Die haben mich nicht mal ins Partnerprogramm

Weitere Kostenlose Bücher