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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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durch das die anderen Menschen stolperten wie roboterartige Figuren.
    Orion starrte angestrengt in den Nebel. Sein Finger berührte den Abzug. Dann knallte der Schuss durch die wattige Stille.
    Ich zupfte mir die Stöpsel aus den Gehörgängen und war wieder ein Teil dieser Welt. Die anderen unterhielten sich ungeniert über Orion.
    »Das kann er unmöglich getroffen haben«, sagte Merton. »Nichts für ungut, Junge, aber …«
    Ein wildes Geheul antwortete ihm. Lumina kehrte lachend und tanzend aus dem Nebel zurück, in der Hand eine tellergroße Holzscheibe. Eine Scheibe mit einem Loch, das ziemlich genau in der Mitte lag.
    »Oh Gott«, sagte Jakob. »Oh ihr Heiligen alle. Ein Sechsundneunziger, mindestens.« Er ließ die Scheibe herumgehen. »Wie hoch sind sie in der Alpha-Reihe gegangen? Dein Vater müsste das doch wissen, Gabriel.«
    »Ich auch. Siebenundneunzigeinhalb.«
    Merton grinste, als hätte er gerade die Glücksgabe verpasst bekommen. Doch Gabriel war unerwartet ernst. Ich meinte, eine Spur Mitleid aus seinem Gesicht herauszulesen. »Zeig ihm, wie die Armbrust funktioniert, Jakob.«
    Doch Orion drehte sich zu mir um. »Pia? Willst du es nicht auch versuchen? Wenn die Jäger kommen, will ich, dass du dich verteidigen kannst.«
    »Du musst nicht schießen«, sagte Gabriel freundlich. »Ich rate dir sogar davon ab, hier im Nebel. Doch du solltest das Gefühl dafür haben.«
    Ich zögerte. Ich wollte kein Gefühl für Waffen. Bei allen Gefühlen, die mich in letzter Zeit überschwemmt hatten, konnte ich auf dieses gut verzichten.
    »Du musst«, sagte Orion leise. »Ich will, dass du lebst. Neustadt hat uns nur aus einem Grund entkommen lassen. Aus demselben Grund, warum sogar Rightgood durchs Tor spazieren durfte, obwohl sie so richtig wütend auf ihn gewesen sind. Um ihn zu jagen. Um uns zu jagen. – Nimm es«, sagte er, und ich nahm es.
    Das Gewehr war schwerer, als ich erwartet hatte. Orion hatte es so lässig gehalten, wie eine Tasse zum Trinken oder einen Ball bei seinen Spielen. Das glatte, harte Metall war warm, wo er es angefasst hatte. Mich gruselte es vor dieser Waffe. Lucky schwieg. Er hätte hier sein sollen, nicht ich.
    »Fühl es«, sagte Orion leise, doch außer dem Gewicht des Metalls fühlte ich nichts. Vielleicht noch Kälte. Unbehagen. Das Glitzern in seinen Augen, das seine Begeisterung verriet, verstärkte meine Ablehnung eher noch.
    »Kann ich nicht lieber weglaufen, wenn sie kommen?«
    »Wir nennen uns Die Krallen «, sagte Gabriel. »Denn wie ein Tier sich verteidigt, mit Klauen und Zähnen, tun wir das auch. Wenn wir uns schon wie Tiere fühlen sollen, dann sind wir Raubtiere, keine Kaninchen. Wir sind kein Freiwild.« Er zog die Plakette aus seinem Hemd. »Kein Freiwild für Neustädter. Paulus zwingt mich, dieses Teil hier zu tragen, aber er hat keine Macht darüber, welche Bedeutung ich ihm gebe. Halt das Gewehr fest, Pia. Halte sein Gewicht aus. Damit kann man töten. Damit könntest du töten. Damit beweist du ihnen, dass dein Leben genauso viel wert ist wie ihres.«
    Jakob stellte sich neben mich und erklärte mir, was ich zu tun hatte, aber ich konnte mich nicht auf das, was er sagte, konzentrieren. Meine Gedanken flogen davon. Zu der Nacht am Tor. Zu Star, die vor mir auf die Straße stürzte. Zu jener dunklen Gestalt, die vorüberschlich, während Gabriel und ich im Gebüsch kauerten. Ich wusste, was ich tun sollte, aber ich konnte es nicht. Beruhige dich , sagte Lucky, aber meine Hände begannen zu zittern.
    »Es ist zu schwer«, sagte ich, nur um irgendetwas zu sagen, weil sie mich alle erwartungsvoll anstarrten. »Das ist nichts für mich, ehrlich. Lasst uns keine Munition verschwenden.«
    Merton holte die Armbrust hervor und begann, Orion ihre Funktionsweise vorzuführen, doch ich drehte mich um und stolperte weg. Tränen brannten in meinen Augen.
    »Hey! Hey, Pia, warte!« Gabriel kam mir nach. Natürlich. Orion konnte schließlich nicht mehr fort von diesen wunderbaren, faszinierenden Waffen, die er in die Hand nahm, als sei es Spielzeug.
    »Es tut mir leid.«
    »Was tut dir leid?«
    Er wusste nicht, was ich fühlte. Konnte es nicht wissen. Ich wusste es ja selbst kaum.
    »Dein Freund war ein Sportler. Dachte er. Dachtest du. Aber er ist ein Soldat, und wir können sein Potential nicht vergeuden. Wir dürfen es nicht. Er wird unser bester Verteidiger sein. Auch wenn du uns dafür hasst, wir haben keine Wahl. Wir müssen ihm eine Waffe in die Hand geben.« Ein

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