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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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treppab unterwegs war und jede Sekunde zur Hintertür herausstürmen würde. Voller Angst rappelte sie sich hoch und humpelte durch den Nieselregen, ignorierte den stechenden Schmerz in ihrem Fußgelenk, als sie um das Haus herum zur Auffahrt strebte und instinktiv weiter ins Freie flüchtete, wo es vielleicht Zeugen gäbe für ihre Not.
    Jetzt konnte sie George hinter sich hören, mit seinem schweren, keuchenden Atem, und bildete sich ein, ihn schon fast in ihrem Nacken zu spüren. Unter normalen Umständen hätte sie ihm mühelos entwischen können. Aber sie war barfuß und der Kies scharfkantig. Ihr Fußgelenk drehte sich bei jedem Schritt, und der Schmerz jagte ihr Tränen in die Augen. Sie bog um die Ecke und erreichte die kiesbestreute Auffahrt, die sich bis zur Landstraße erstreckte. Wenn sie es bis dorthin schaffte, könnte, wer weiß, mit ein wenig Glück, ein Karren vorbeikommen, ein Landarbeiter… jemand… irgendeine Rettung.
    George verfolgte sie, und der Abstand zwischen ihnen verringerte sich mit jedem Schritt. Sein Atem ging keuchend und stoßweise, sein dicker Bauch wogte auf und ab, seine massigen Hände waren zu Fäusten geballt, aber er schaffte es, Juliana einzuholen. Sie wurde immer langsamer, ihre Kräfte ließen rapide nach, ihre Füße schmerzten höllisch. George streckte den Arm aus, packte den Saum ihres Nachthemds und zerrte Juliana rückwärts, doch sie wehrte sich erbittert mit Fußtritten und Nägeln und Zähnen, während ihr Haar sie wild umwehte.
    Irgendwie gelang es ihr, sich aus seinem Griff zu winden, und sie hörte den dünnen Stoff ihres Nachthemds reißen, als sie erneut vorwärts stürzte, auf das Tor zur Landstraße zurannte… so nahe… nur noch drei Schritte…
    Georges schnaufender Atem war in ihrem Nacken, seine Hände griffen nach ihr. Das Rattern von Eisenrädern auf der Straße, die über das löchrige Kopfsteinpflaster holperten… Mit ihrer allerletzten Kraft sprang Juliana auf die Straße vor einen hochbeladenen Heuwagen.
    Der Bauer zog die Zügel an und starrte ungläubig auf die verzweifelte Gestalt im Nachthemd, die seinen Zugpferden den Weg versperrte.
    »Bitte…« Juliana rang mühsam nach Luft, um sprechen zu können. »Bitte… helfen Sie mir… ich…«
    Sie kam nicht weiter. George hatte sie von hinten gepackt, preßte ihr eine Hand auf den Mund, drehte ihr langes Haar um seinen Arm und hielt ihren Kopf fest. Seine Stimme war ruhig, vernünftig, sachlich. Sie klang überhaupt nicht wie sonst, als er dem verwunderten Landarbeiter erklärte, daß sie an einer Geisteskrankheit leide und zu ihrer eigenen Sicherheit eingesperrt werden müsse. Daß sie aus ihrem Zimmer entflohen sei, indem sie die Bedienstete angegriffen hätte, die ihr das Essen brachte. Daß sie gewalttätig und höchst gefährlich werden könne.
    Der Mann betrachtete die halbnackte, zottelmähnige, verzweifelte Gestalt, die sich gegen den Griff des Mannes wehrte, der ganz offensichtlich im vollen Besitz seiner Vernunft war und mit soviel Überzeugungskraft sprach. Das Mädchen blickte mit flehenden, fast wilden Augen zu dem Bauern hinauf – er schauderte, murmelte hastig ein Gebet und wandte den Blick vor dem gefährlichen Starren einer Irren ab. Heftig klatschte er mit den Zügeln, als George die Verrückte beiseite zog, und fuhr weiter, trieb seine Pferde zu noch größerem Tempo an.
    Juliana biß tief in Georges Handfläche. Er brüllte vor Schreck und versetzte ihr einen harten Schlag auf den Kopf, der sie benommen machte. Dann warf er sie sich kurzerhand über die Schultern, noch bevor das Dröhnen in ihren Ohren abgeklungen war, und schleppte sie zurück ins Haus.
    Lucien stolperte aus dem Wohnzimmer, ein Glas in der Hand, als die Haustür hinter George krachend ins Schloß fiel. »Großer Gott«, stammelte er. »Was war denn jetzt schon wieder los?«
    »Hat gedacht, sie könnte entwischen… durchtriebenes Luder«, erklärte George grimmig, als er sich an Lucien vorbei ins Wohnzimmer drängte und Juliana in einen Sessel warf.
    Sie lag reglos da, erschöpft in den Polstern zusammengesunken, ihr Kopf wie betäubt von dem Schock und dem stechenden Schmerz des Schlages. Für den Augenblick war sie besiegt.
    George schenkte sich einen großen Cognac ein, leerte das Glas mit einem Zug und genehmigte sich gleich einen zweiten. »Je eher sie in Winchester hinter Schloß und Riegel sitzt, desto besser.« Erneut goß er sich den Schnaps in die Kehle. »Lassen Sie uns gehen.«
    »Gehen?

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