Wilde Flammen
Kalender verschränkte, wusste Jo, dass er jetzt zum Geschäftlichen kommen würde. »Morgen um sechs sollten wir in Ocala ankommen«, setzte er an, und pflichtschuldig nickte Jo. »Bis neun müssen die Zelte aufgebaut sein.«
»Die Parade ist dann um zehn vorbei, und um zwei kann die Matinee-Vorstellung beginnen«, ergänzte sie lächelnd. »Duffy, ich soll doch hoffentlich nicht wieder während der Parade eine kleine Dressurnummer vorführen, oder?«
»Ich denke, wir werden gutes Publikum haben«, wich er geschickt einer Antwort aus. »Bonzo sagt, wir werden auch gutes Wetter bekommen.«
»Bonzo sollte besser seine Stürze und das Stolpern üben.« Argwöhnisch beobachtete sie, wie Duffy auf seiner erkalteten Zigarre kaute. »Also los, sag schon, was anliegt.«
»In Ocala wird jemand zu uns stoÃen, zumindest für eine gewisse Zeit.« Er schürzte die Lippen, während sein Blick auf Jos Gesicht ruhte. »Ich weià nicht, ob er bis zum Ende der Saison bei uns bleibt.«
»Oh Duffy, doch nicht irgendein Neuzugang, oder? Dann müssten wir das ganze Programm umstellen. Oder ist er etwa ein brotloser Schriftsteller, der einen epischen Roman über das Aussterben des Wanderzirkus schreiben will? Einer, der ein paar Wochen mit uns herumzieht, jedem kurz über die Schulter schaut und danach behauptet, er wüsste alles, was es über die Zirkuswelt zu wissen gibt.«
»Ich glaube nicht, dass er den anderen über die Schulter schauen will.« Duffy hielt ein Streichholz an seinen Zigarrenstummel und brachte ihn umständlich wieder zum Glühen.
»Es ist ein bisschen spät, um eine neue Nummer einzustudieren, oder?«
»Er ist kein Artist.« Duffy fluchte leise, bevor er Jo wieder ansah. »Ihm gehört der Zirkus.«
Eine Weile sagte Jo gar nichts und saà vollkommen regungslos da, ein Trick, den sie auch beim Training mit jungen Raubkatzen anwendete. »Nein!« Abrupt sprang Jo auf und schüttelte wild den Kopf. »Nein, nicht er. Nicht jetzt. Wieso muss er mitkommen? Was will er hier?«
»Es ist sein Zirkus«, wiederholte Duffy rau.
»Es war nie sein Zirkus und wird nie sein Zirkus sein«, bestritt Jo ungestüm. Ihre groÃen grünen Augen schienen Funken zu sprühen. Dabei lieà sie ihrem Temperament eigentlich nur sehr selten die Zügel schieÃen. »Es ist Franks Zirkus.«
»Frank ist tot«, bemerkte Duffy leise. Es klang endgültig. »Jetzt gehört der Zirkus seinem Sohn.«
»Franks Sohn?«, fragte Jo ihn beiÃend. Mit an die Schläfen gedrückten Fingern ging sie zum Fenster des Zirkuswagens hinüber.
DrauÃen ergoss sich strahlendes Sonnenlicht über das Gelände. Die Trapezakrobaten, flauschige Bademäntel über den eng anliegenden Trikots, gingen ins Zelt, um ihre Nummer zu üben. Ãberall liefen Artisten umher, das Gemisch der verschiedenen Sprachen war Jo so vertraut, dass sie es nicht einmal mehr bemerkte.
Sie stützte sich auf der Fensterbank ab und atmete tief durch, um ihre Beherrschung wiederzufinden. »Was für ein Sohn ist das, der es nie nötig gehabt hat, seinen Vater zu besuchen? DreiÃig Jahre hat er Frank nicht gesehen. Er hat nie geschrieben. Er ist nicht einmal zur Beerdigung gekommen.«
Mit aller Macht unterdrückte Jo die heiÃen Tränen der Wut, die in ihren Augen brannten, und schluckte den dicken Kloà in ihrer Kehle hinunter. »Warum taucht er jetzt auf?«
»Du wirst lernen müssen, dass jede Medaille zwei Seiten hat, Mädchen«, sagte Duffy brüsk. »Vor dreiÃig Jahren warst du noch nicht einmal auf der Welt. Du kannst nicht wissen, wieso Franks Frau ihn damals verlassen hat und warum der Junge sich nie gemeldet hat.«
»Er ist kein Junge mehr, Duffy, er ist ein Mann.« Sie hatte sich wieder unter Kontrolle und drehte sich mit einem Ruck um. »Er muss jetzt ein-, zweiunddreiÃig sein. Ein erfolgreicher Anwalt in Chicago. Richtig wohlhabend. Wusstest du das?« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, erreichte aber ihre Augen nicht. »Ãbrigens nicht nur durch seine Arbeit. Die Familie mütterlicherseits muss wohl sehr gut betucht sein. Alter Geldadel, wie ich gehört habe. Ich verstehe nicht, warum sich ein reicher Anwalt aus der Stadt für einen kleinen Zirkus interessieren sollte.«
Duffy zuckte die Schultern. »Vielleicht braucht er eine
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