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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nichts. » Dieser Gedanke will einfach nicht weichen.«
    Er sagte Joe, seine neue Lebensaufgabe sei die eines Rächers. Eines hässlichen Rächers.
    » Und so ein Rächer ist eine Niete, die wie ein Monster aussieht«, jammerte er.
    Es war kurz vor der Dämmerung, in kältester Nachtstunde. Der Boden war vom Regen aufgeweicht und das hohe Gras umgebogen, weil schwere Tropfen an den Blattspitzen hingen. Nebel begann aus den Wiesen aufzusteigen.
    Joe arbeitete sich durch einen dichten Espenbestand auf eine Lichtung vor und blieb unvermittelt stehen, so dass sein Begleiter ihn anrempelte.
    » Verzeihung«, entschuldigte sich Stewie.
    » Sehen Sie sie?«, fragte Joe und blickte nach vorn. In fünfundzwanzig Kilometern Entfernung bewegte sich ein kleines gelbes Licht langsam von rechts nach links durch die dunkle Ebene.
    » Das ist die Landstraße«, sagte er.

36
    Das bewässerte Heufeld war kürzlich zum ersten Mal im Jahr gemäht worden und roch noch stark nach Luzerne. Dunst stieg vom noch nassen Boden auf und verschleierte den Umriss der Pyramidenpappeln am morgendlich dämmernden Horizont. Joe und Stewie schleppten sich durch das nasse Feld, und ihre Stiefel erzeugten im Schlamm schlürfende Geräusche.
    Joe war vor Erleichterung ein wenig aus dem Häuschen. Der Stacheldrahtzaun, den sie eine halbe Stunde zuvor überstiegen hatten, gehörte zum Herrlichsten, was er je gesehen hatte. Stewie hatte ihm widerwillig beigepflichtet. Sich durch die flache, gemähte Wiese zu kämpfen war leicht im Vergleich zu den Strapazen, die sie im zerklüfteten Gebirge hatten auf sich nehmen müssen. Pyramidenpappeln waren ein willkommener Anblick, denn wo sie wuchsen, gab es Wasser. Deshalb lagen Ranchhäuser, Scheunen und Stallungen vermutlich in der Nähe solcher Baumbestände. Im ländlichen Nordwesten der Rocky Mountains verhießen Pyramidenpappeln, dass Menschen in der Nähe waren. Stewie klaubte aus dem Gras eine zerdrückte Bierdose auf und hielt sie hoch.
    » Das«, erklärte er, » ist ein untrügliches Zeichen der Zivilisation.«
    Joe bewunderte seine Energie und fragte sich, wie es möglich war, dass er nun kräftiger zu sein schien als zu Beginn ihrer Wanderung. Auch wirkte er seltsam wehmütig und doch zufrieden. Er schimpfte nicht mehr über Umweltpolitik und kündigte auch keine Rache mehr an. Stewie Woods ist wirklich ein Rätsel, dachte Joe.
    Sie überstiegen einen weiteren Stacheldrahtzaun und kamen in eine Rinderherde. Die Tiere wichen ihnen dumpf aus, und sie konnten zwischen ihnen hindurchgehen. Joe bemerkte das Brandzeichen: V/U.
    » Verdammt!«, rief er. » Ausgerechnet hier mussten wir landen! Das ist die Ranch von Jim Finotta.«
    » Jim Finotta?«, fragte Stewie.
    » Ist eine lange Geschichte«, erwiderte Joe.
    Als sie sich im Dunst den dicht stehenden Pyramidenpappeln näherten, tauchten die scharfen Giebel des prächtigen Ranchhauses aus Stein mit seinen ausgedehnten Nebengebäuden auf. Zwischen ihnen, die sie im Dreck standen, und den Bauten lagen einige Koppeln voller Rinder, die nach Größe und Gewicht zusammengesperrt waren. Sie hörten Tiere muhen und die frühmorgendliche Stille zerreißen. Als sie über mehrere Lattenzäune kletterten, spürte Joe wieder, wie lädiert er war. Das Vieh wich ihnen aus. Der vom Nebel am Boden gehaltene Geruch frischen Dungs lag stechend in der Luft.
    Hinter dem letzten Zaun ging Joe über den mit Kieseln bestreuten Hof auf Finottas Haus zu und kam links an einem massiven Metallbau vorbei, einer Scheune. Als sie deren Fenster passierten, warf er einen Blick in den Bau und entdeckte ein geparktes Fahrzeug.
    Er war bereits ein paar Schritte weiter, ehe er begriff, was er gesehen hatte: einen schwarzen Ford Pick-up, neuestes Modell.
    Joe packte Stewie am Arm und zog ihn an die Scheune und damit außer Sicht des Ranchhauses. Lautlos wies er durchs Fenster auf den Wagen.
    » Der sieht aus wie der Pick-up, den Tibbs gefahren hat«, flüsterte er. Stewie bekam große Augen und antwortete ebenso leise: » Ach du Scheiße!«
    Sie schlichen an der Scheune zurück und probierten alle Türen aus, doch sie waren abgeschlossen. Um die Ecke war das große Garagentor, über dessen Betonschwelle zwei schlammige Reifenspuren führten. Joe bückte sich und zog am Tor. Es hob sich einige Zentimeter.
    » Nicht abgeschlossen«, flüsterte er Stewie zu.
    Der hob die Brauen zu einer Miene, die nur eines bedeuten konnte: Schauen wir mal, was es da drin zu sehen gibt.
    Joe hielt inne und blickte

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