Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Auf die eine oder andere Weise hatte sie ihnen genug Kummer gemacht. Diese Schlacht würde sie alleine schlagen.
»Wie bist du denn eigentlich zu dem Boot gekommen, May?« wollte Sally wissen.
May setzte den Dosenöffner an und seufzte. »Vermutlich könnte man sagen, durch einen Mann. Ich ging mit einer alten Schulfreundin auf dem Treidelpfad am Oxford Canal spazieren. Es war Herbst, die Blätter fingen gerade an, sich zu färben. Na ja, und da kam dieses Hausboot entlanggetuckert, und der Typ warf ein Tau um einen Poller. Wir kamen ins Gespräch, und so fing es an.« Sie drehte an der Flügelschraube des Dosenöffners. »Rückblickend ist mir klar, daß es mehr der Lifestyle war als der Mann, in den ich mich verliebt hab’. Er hat jedenfalls eine andere kennengelernt, und meine Eltern haben mir geholfen, ihn auszubezahlen.«
»Warst du nicht am Boden zerstört?« fragte Sally mitfühlend.
May schüttelte den Kopf. »Er fing an, mir ernstlich auf die Nerven zu gehen. Er hat nie einen Schlag getan. Als dieses Mädchen aufkreuzte – präraffaelitisches Wallehaar und indische Wallekleider –, war ich froh, daß er sein Zeug packte.« Sie legte den Dosenöffner beiseite und fischte den Deckel aus der Dose. »Meine Eltern waren ja so erleichtert!«
Das konnte Harriet sich gut vorstellen. »Und hast du viel an dem Boot gearbeitet, seit es dir gehört?«
»O ja. Das Innere war praktisch kahl. Ich hab’ den Tisch und die Sitzbank eingebaut, da unter den Stufen Schränke eingepaßt, die Schotten gesandstrahlt und lackiert und alles ein bißchen wohnlicher gemacht.«
»Du bist ziemlich geschickt«, meinte Sally.
»Ich hatte Hilfe. Der Typ von der Shadowfax ist ein super Zimmermann und Tischler. Er hat mir gezeigt, wie ich’s machen mußte. Es ist nur ziemlich schwierig, mit ihm zu arbeiten, denn er ist eine richtige Nachteule. Kein Wunder, daß er Schwierigkeiten hat, einen Job zu finden.«
Aber es war mehr als nur gute Tischlerarbeit, was May hier geleistet hatte, das konnte Harriet sehen. Mays Persönlichkeit war überall erkennbar. Die Bilder, die sie ausgewählt hatte, die Bücher, die sie las, die Tassen mit kaltem Tee, die überall herumstanden, alles vereinigte sich zu einem homogenen Ganzen, harmonisch, gemütlich und warm.
»Eine Scheibe Toast oder zwei?« rief May.
»Zwei, bitte, wenn ich darf«, antwortete Harriet.
»Bist du sicher, daß du nichts willst, Sally?«
»Oh, meinetwegen, aber nur ein bißchen.«
Nachdem die Bohnen vertilgt und mehrere Liter Tee getrunken waren, streckte Sally ihre langen Beine aus, reckte sich und stand auf.
»Jetzt muß ich aber wirklich los. Es ist toll, daß ich euch beide kennengelernt hab’. Wenn ich es Piers nicht sagen müßte, würde ich mich auf mein Putzfrauendasein richtig freuen.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte May. »Meine Brüder werden mich bis ans Ende aller Tage damit aufziehen, wenn sie’s hören.«
»Wenn es nur das wäre, damit könnte ich leben. Aber Piers wird denken, ich hätte mich nicht genug bemüht, die Rolle in dem Tschernobyl-Stück zu kriegen.«
Und in gewisser Weise hätte er sogar recht, ging ihr auf. Hätte sie ihr graues Leinenkleid getragen, klobige Schuhe und ein ernstes Gesicht, hätte sie vielleicht bessere Chancen gehabt. Aber sie verabscheute ihr graues Kleid, besaß keine klobigen Schuhe und war nicht besonders zufrieden mit ihrem ernsten Gesicht. Sie fand, es gab ihr das Aussehen einer Mutter, die ihr Gewissen plagt, weil die Socken ihres Kindes nicht wirklich weiß gewaschen sind, und nicht das einer Frau, die sich mit globalen Umweltproblemen befaßt.
»Na ja, was soll’s.« Sie nahm ein paar vollgekritzelte Zettel, die ihr den Rückweg in die Zivilisation wiesen, und einige ordentlichere, die beschrieben, wie man in fünf Minuten ein Essen kocht. Dann verabschiedete sie sich von ihren neuen Freundinnen und stellte noch einmal ihre Beine zur Schau.
»Noch Tee?« fragte May Harriet.
»Nein, danke. Ich habe jetzt schon einen ziemlichen Flüssigkeitsüberschuß.«
»Hab’ ich dir erklärt, wie das Klo funktioniert?«
»Ja, danke«, sagte Harriet und schwor sich, in Zukunft so viele Körperfunktionen, wie physisch nur möglich war, dann auszuführen, wenn sie vernünftige Installationen zur Verfügung hatte. »Jetzt werd’ ich abwaschen.«
May dachte mit Schrecken an ihren kleinen Heißwasservorrat und wollte sie davon abbringen. »Nein, wozu denn. Komm lieber wieder her, setz dich und laß uns reden. Ich
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