Wilde Saat
hatte sie ihn deswegen verflucht! Doch weder Tr ä nen noch Flüche würden ihn rühren!
»Weshalb bringst du mir einen Mann her, ohne mir zu sagen, was er zu tun vermag?« fragte sie ruhig.
»Was hat er gemacht?«
Anyanwu erzählte. Keine Einzelheit ließ sie aus. Und sie endete mit der gleichen gefährlich ruhigen Frage: »We s halb bringst du mir einen Mann hierher, ohne mir zu sagen, was er zu tun vermag?«
»Ruf Margaret!« befahl Doro, ohne auf ihre Frage einz u gehen. Margaret war die Tochter, die Joseph geheiratet ha t te.
»Warum?«
»Warum? Weil Joseph unfähig war, irgend etwas dera r tiges zu tun, als ich ihn herbrachte. Er konnte nichts, gar nichts. Er war lediglich brauchbares Zuchtmaterial. Gut, um fähige und brauchbare Ki n der in die Welt zu setzen. Er muß einen Übergang gehabt haben, trotz seines Alters. Und er muß ihn hier auf der Plantage gehabt haben.«
»Das würde ich gewußt haben. Ich werde immer g e holt, wenn jemand krank ist. Und es gab keine A n zeichen dafür, daß er vor einem Übergang stand.«
»Hol Margaret! Fragen wir sie!«
Anyanwu wollte nicht, daß Margaret mit Fragen behe l ligt wurde. Das Mädchen hatte Furchtbares durchgemacht. Sie hatte den Mann verloren, den sie liebte, und den Br u der, den sie anbetete. Sie besaß nicht einmal ein Kind, mit dem sie sich trösten konnte. Joseph war nicht imstande g e wesen, sie zu schwängern. In dem Monat, der seit Stephens und Josephs Tod vergangen war, hatte das Mädchen eine erschreckende Veränderung durchgemacht. Sie war abg e magert bis zum Skelett, und ihr Gemüt hatte sich verdü s tert. Sie war ein ungewöhnlich lebhaftes Kind gewesen, dessen Mund nicht stillstand, dessen Lachen alle beglückte, dessen Gegenwart die Menschen heiter stimmte. Nun sprach sie kaum noch ein Wort. Sie war buchstäblich krank vor Gram. Seit einigen Tagen kümmerte sich Helen um sie.
Das Kind schlief bei Margaret und verbrachte auch den Tag mit ihr. Es half ihr im Haus oder leistete ihr einfach nur Gesellschaft. Zunächst hatte Anyanwu das mit großer Besorgnis beobachtet. Margaret mochte Helen vielleicht für die Katastrophe veran t wortlich machen. Margaret war im Augenblick nicht in der Verfassung, um vernünftige und sachliche Überlegungen anzustellen. Sie durchlitt furchtbare Seelenqualen. Die Gefahr bestand, daß sie e i nem anderen die Schuld für ihr Elend gab. Doch offensic h tlich schien das nicht der Fall zu sein. »Es wird besser mit ihr«, berichtete Helen ihrer Mutter zuve r sichtlich. »Sie war vorher einfach zu viel allein.« Das kleine Ding besaß eine seltsame Mischung aus Direktheit, Warmherzigkeit und scharfer Beobachtungsgabe. Anyanwu hoffte verzwe i felt, Doro würde gar keine Notiz von ihr nehmen. Margaret d a gegen war äußerst verletzbar. Und nun war Doro dabei, Wunden aufzureißen, die gerade zu heilen begannen.
»Laß sie eine Zeitlang in Ruhe, Doro! Die Dinge haben sie mehr mitgenommen als jeden anderen von uns!«
»Rufe sie, Anyanwu, oder ich tue es!«
Angeekelt und voller Zorn ging Anyanwu, um Ma r garet zu holen. Das Mädchen arbeitete nicht auf den Feldern, wie einige von Anyanwus Kindern, so daß Anyanwu nicht weit zu suchen brauchte. Sie fand Margaret im Waschhaus. H e len war bei ihr und half ihr beim Bügeln.
»Mach eine Pause«, sagte Anyanwu zu Margaret. »Komm mit mir!«
»Was ist?« fragte Margaret. Geistesabwesend setzte sie ein Bügeleisen auf das Feuer zurück und nahm sich ein and e res, das wieder heiß geworden war.
»Doro«, sagte Anyanwu leise.
Margaret erstarrte, das schwere Eisen hielt sie unbewe g lich in der Hand. Anyanwu nahm es ihr ab und stellte es auf einen Ziegelstein am Rand des Feuers. Die beiden a n deren Eisen, die zum Heißwerden auf den Flammen sta n den, schob sie zur Seite.
»Und du läßt die Finger davon«, sagte sie zu Helen. »Die Rechnungen für neue Kleider sind hoch genug. Bes p renge die Wäschestücke, und rolle sie zusammen, das machst du schon ganz gut.«
Helen sagte nichts. Sie blickte Anyanwu und Margaret nur nach, als die beiden das Waschhaus verli e ßen.
Draußen begann Margaret zu zittern. »Was will er von mir? Weshalb kann er uns nicht in Ruhe la s sen?«
»Er wird uns nie in Ruhe lassen«, erwiderte Anyanwu tonlos.
Margarets Augenlider flatterten, dann sah sie Anyanwu an. »Was soll ich tun?«
»Beantworte seine Fragen – alle ohne Ausnahme. Auch wenn sie dir zu persönlich oder zu verletzend erscheinen. Antworte, und sage ihm die
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