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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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Luisa erstarrte, dann wich sie gehorsam zurück.
    »Mein Gott«, flüsterte Iye, als Luisa wieder zurüc k kam. »Ich habe mich nie vor ihr gefürchtet. Aber wenn sie so etwas macht und man steht nur wenige Schritte neben ihr, kann einem das Blut in den Adern gefrieren.«
    Luisa achtete nicht auf ihre Worte. Sie trat zu dem toten Stephen, bog seinen Hals und Körper gerade und bedeckte ihn mit Anyanwus Umhang.
    »Was wird sie tun?« fragte Iye.
    »Joseph töten!« erwiderte Helen ruhig.
    »Töten!« Iye starrte verständnislos in das kleine, ernste Gesicht.
    »Ja«, sagte das Kind. »Und sie sollte auch Doro töten, bevor er uns jemanden herbringt, der noch schlimmer ist.«
    Anyanwu durchquerte im geschmeidigen Gang des Le o parden die Halle. Sie bewegte sich über die Haupttreppe in den ersten Stock und von dort über eine schmale Stiege hinauf zum Dachboden. Sie war hungrig. Sie hatte den Wechsel ein wenig zu rasch vollzogen, und sie wußte, daß sie schnellstens genügend Nahrung brauchte. Dennoch würde sie sich b e herrschen. In keinem Fall konnte sie ihren Hunger mit dem Fleisch von Stephens Mörder stillen. Der Gedanke an diesen Mann bereitete ihr Abscheu. Li e ber würde sie Fleisch fressen, das schon faul war und stank und von Maden wimmelte. Dieser Joseph war Abschaum, me n schliches Ungeziefer. Wie hatte D o ro ihn zu ihr bringen können! Selbst Doro hatte sie das nicht zugetraut.
    Die Tür zu Josephs Dachkammer war geschlossen, doch Anyanwu öffnete sie mit einem einzigen Pra n kenhieb. Von innen antwortete ein heiserer Schrei der Überraschung. S o bald Anyanwu den ersten Schritt in den Raum hineintat, legte sich eine unsic h tbare Schlinge um ihre Vorderpfoten. Auf Kinn und Brust rutschte sie über den Fußboden und stieß mit dem Kopf hart gegen den Waschständer. Es schmerzte, doch der Schmerz war zu ertragen. Sie hatte gehofft, ihn überrumpeln zu können, ihn anz u fallen, bevor er seine Kräfte gegen sie einsetzen konnte. Sie hatte sogar gehofft, daß er sie nicht au f zuhalten vermochte, da sie nicht in ihrer menschl i chen Gestalt zu ihm kam. Nun ließ sie ein zorniges Fauchen hören, in dem deutlich die Furcht vor einem Fehlschlag mitschwang.
    Einen Augenblick lang gewann sie die Gewalt über ihre Vordertatzen zurück. Vielleicht hatte sie ihn erschreckt, und er hatte einen Augenblick lang die Kontrolle über sich verloren! Sie mußte diesen A u genblick nutzen. Mit einem wilden Satz sprang sie ihn an, die Pranken erhoben sich zum tödlichen Hieb.
    Joseph stieß einen Schrei aus, warf die Arme hoch, um se i ne Kehle zu schützen. Gleichzeitig gelang es ihm erneut, ihre Beine zu lähmen. Er reagierte u n heimlich schnell in seiner Verzweiflung, und die Angst schien ihm überme n schliche Kräfte zu geben.
    Aus Anyanwus Gliedern wich jedes Gefühl. Fast ein wenig benommen, prallte sie gegen ihn. Mit den Zähnen gelang es ihr, sich an ihm festzuhalten. Wie Dolche schlug Anyanwu sie erbarmungslos in einen seiner Arme, riß ein Stück Fleisch heraus und versuchte mit letzter Kraft an se i ne Kehle heranzuko m men.
    In ihre Beine kehrte das Gefühl zurück aber plötzlich bekam sie keine Luft mehr. Ihr Hals war wie zug e schnürt, irgendwie eingeengt.
    Augenblicklich lokalisierte Anyanwu die Verengung und schaffte sich unterhalb der Stelle eine neue Öf f nung in der Luftröhre, durch die sie wieder atmen konnte. Blit z schnell fuhr ihr Fang an Josephs Kehle. Sie biß zu.
    In äußerster Panik krallte er die Finger in die neu en t standene Öffnung.
    In einer anderen Situation und bei einer anderen Beute hä t te der jähe Schmerz, der sie durchfuhr, ihr vielleicht das Bewußtsein genommen. Aber das Bild ihres toten Sohnes stand vor ihr, sie dachte an Helen, die um ein Haar den gleichen Tod gestorben wäre. Was wäre gewesen, wenn dieser Mensch Helen nur den Atem abgedrückt hätte, wie jetzt ihr? Er wäre ungestraft davongekommen.
    Mit einer wilden Bewegung des Kopfes riß sie Joseph die Kehle heraus.
    Er starb, während sie über ihm erschlaffte und versuc h te, neue Kräfte zu sammeln und die Wunde an ihrem Hals zu schließen.
    Plötzlich überfiel sie der Hunger. Großer Gott, war sie hungrig! Der Geruch von warmem Blut drang in ihre Nase, als sie die normale Atemtätigkeit wied e raufnahm.
    Sie sprang auf und lief die schmale Stiege hinunter und dann über die Haupttreppe in die Halle. Dort blieb sie unentschlossen stehen. Sie brauchte Na h rung, bevor sie sich zurückverwandelte. Sie war jetzt

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