Wilde Saat
traum zu tun – dieses endlose und nie enden wolle n de Fallen. Dabei war sie gar nicht wirklich gefallen. Sie wurde auch nicht verletzt. Und außerdem e r litt auch sonst niemand Schaden. Vielleicht konnte sie Macht über ihn g e winnen, wenn sie ihm nachgab und tat, was er wollte. Vielleicht war sie dann – vo r ausgesetzt, sie überlebte – besser in der Lage, ihre Leute vor ihm zu schützen, so daß sie ihr kurzes L e ben in Ruhe und Frieden verbringen konnten.
»Kämpfe diesmal nicht gegen mich!« sagte er. »Was Körperkraft angeht, bin ich dir nicht gewachsen. Das weißt du. Nun, da du eine Vorstellung von dem hast, was dich erwartet, kannst du dich entspannen und es mit dir gesch e hen lassen. Vertraue mir!«
Sie lag auf dem Rücken und beobachtete ihn. Eine eig e na r tige Trägheit überkam sie. »Es ist gut«, sagte sie ihm ein zweites Mal. Er rückte näher und legte den Arm um sie, so daß sie den Kopf darauf betten konnte.
»Ich mag es, wenn ich dich spüre«, sagte er, ohne damit irgend etwas zu erklären. »Und es ist niemals so gut ohne Körperkontakte.«
Sie sah ihn an, bewegte sich, um eine bequemere Lage ei n zunehmen, nachdem er Sich lang neben ihr ausgestreckt hatte.
»Jetzt!« sagte er leise.
Wieder diese Dunkelheit, das Gefühl des Fallens. Doch nach wenigen Augenblicken erschien es ihr mehr wie ein langsames Dahinschweben. Ja, es war nur noch ein Schw e ben. Sie verspürte keine Furcht. Es durchströmte sie warm, sie entspannte sich. Sie fühlte sich nicht allein, obwohl niemand in der Nähe zu sein schien. In der Ferne vor ihr ein Licht, aber nichts und niemand sonst.
Langsam trieb sie auf das Licht zu, sah, wie es wuchs, während sie näherglitt. Zunächst war es nur ein winziger Stern, schwach und flackernd. Schlie ß lich wurde es zum Morgenstern, der groß und leuc h tend den leeren Himmel beherrschte.
Das Licht nahm die Größe und Helligkeit der Sonne an, erfüllte den Himmel mit seiner Pracht, und Anyanwu fürchtete, erblinden zu müssen. Aber nichts geschah. Die gewaltige Lichtflut war von e i ner rätselhaften Sanftheit, in keiner Weise schmerzhaft oder unangenehm. Sie nahm D o ro neben sich wahr, obwohl sie seinen Körper nicht mehr spürte. Auch ihr eigener Körper schien seine Schwere ve r loren zu haben. Es war eine ganz neue Art der Wahrne h mung, die sie mit Worten nicht hätte beschreiben können. Ein Gefühl der Geborgenheit erfüllte sie. Er war bei ihr. Ohne ihn würde sie jetzt in einer furchtbaren Einsamkeit leben. Was hatte er zu ihr gesagt, bevor sie sich liebten, bevor sie in diesen kurzen, entspannenden Schlaf fiel? Daß sie nur mit ihm ihrer Einsamkeit entfliehen konnte. Doch zu diesem Zei t punkt waren seine Worte noch kein Trost für sie g e wesen, jetzt waren sie es.
Das Sonnenlicht hüllte sie ein. Nirgendwo gab es Du n kelheit. In irgendeiner Weise war sie nun blind. Sie ve r mochte nichts mehr zu erkennen, nur noch flammende, strahlende Helligkeit. Nichts, was sie schmerzte, nichts, was ihr U n behagen bereitete. Und Doro. Er war bei ihr, berührte sie in einer Weise, wie noch niemand sie berührt hatte. Es war, als berühre er ihre Seele, als vereinige er sich mit ihr, als erfülle er sie bis in die letzten Fasern ihres W e sens. Lan g sam wurde sie sich des Hungers bewußt, den er auf sie ha t te. Doch anstatt der Ablehnung erwachte in ihr ein Gefühl niegekannter Zuneigung. Und sie wurde sich nicht nur seines Hungers bewußt, sondern auch seiner Ei n geschlosse n heit und Einsamkeit. Die Einsamkeit schuf ein Band zw i schen ihnen. Er war so lange allein gewesen. So unvor s tellbar lange. Ihre eigene Einsamkeit, ihr eigenes Alter schienen bede u tungslos zu werden. Neben ihm war sie wie ein Kind. Doch Kind oder nicht, er brauchte sie. Er brauchte sie, wie er nie zuvor einen Menschen g e braucht hatte.
Anyanwu streckte die Arme aus, um ihn zu berühren, ihn zu halten, ihn zu befreien von der Last seines Allei n seins.
Sie wußte nicht, wie er darauf antwortete, oder was sie wirklich tat. Aber es war überraschend gut. Es war eine Vereinigung, die tiefer und tiefer wurde, ein Ineinanderve r schmelzen, eine Aufgabe des eigenen Selbst an den and e ren. Aber all das schien nicht g e nug für ihn. Er nahm sie in sich auf, verzehrte sie, machte sie zu einem Teil seiner e i genen Substanz. Er war die Lichtflut, das Feuer, das sie umhüllte. Nun war er dabei, sie zu töten, sie Stück für Stück zu ve r schlingen.
Trotz all seiner Worte und Schwüre
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