Wilde Saat
Farbigen nur eine sehr begrenzte Freiheit besaßen. Auf se i nen Reisen wurde Doro von einem seiner älteren weißen Söhne begleitet. Frank Winston, dessen angesehene, altei n gesessene Virginia-Familie zu Doro gehörte, sei t dem Doro sie 135 Jahre zuvor von England in die Neue Welt gebracht hatte. Frank vermochte sich so distinguiert und aristokr a tisch, aber auch so scheu und einfältig zu geben, wie er wollte oder wie Doro es von ihm verlangte. Seine Ander s artigkeit war nicht groß genug, um ihn als gutes Zuchtm a terial ansehen zu können. Aber er war der begabteste Schauspieler und der beste Lügner, den Doro kannte. Die Leute glaubten ihm, auch wenn er ihnen das Blaue vom Himmel herunterschwindelte. Er gab zum Beispiel Doro als einen afrikanischen Prinzen aus, der vers e hentlich in die Sklaverei geraten war, jetzt jedoch als Freigelassener in seine Heimat zurückkehrte, um seinen heidnischen Unte r tanen die Botschaft des christlichen Glaubens und des Evangeliums zu ve r künden.
Obwohl im ersten Augenblick bis zur Fassungsl o sigkeit überrascht, spielte Doro seine Rolle mit einer derart ve r blüffenden Mischung aus Arroganz und Demut, daß die Sklavenhalter am Anfang zwar zw i schen Verwirrung und Zorn hin und her gerissen wurden, sich jedoch schließlich von Doros Sendung überzeugen ließen. Doro war ein Ni g ger, wie sie bi s her noch keinem begegnet waren.
Später verbot Doro seinem Sohn diese Art von Schwi n deleien und riet ihm, sich mit harmloseren Späßen zufri e denzugeben – doch Frank lachte ausg e lassen, und Doro spürte, daß er die Worte seines V a ters nicht beherzigen würde.
Doro fühlte sich so wohl wie seit Jahren nicht mehr. Er brachte es sogar fertig, über sich selbst zu lachen. Und er war entschlossen, sein und Anyanwus Glück zu erhalten, auch wenn es ihn manche Unbeque m lichkeiten kostete. Er war sich nämlich darüber im klaren, daß diese Art Flitte r wochen zwischen ihnen zu Ende sein würden, wenn er di e sen Körper, der ihr so sehr gefiel, aufgeben müßte. Sie würde sich zwar nicht wieder von ihm abwenden, dessen war er s i cher, aber ihre Beziehung würde eine Veränderung erfahren. Wie damals in Wheatley würden sie nur noch gelegentlich ein Paar sein, jetzt allerdings nicht mehr aus sachlichen Gründen, sondern aus dem Gefühl einer dauernden inneren Zuneigung heraus. Anyanwu würde ihn jetzt immer voller Freude bei sich aufnehmen, gleichgü l tig, welchen Körper er trug. Sie würde ihre Männer haben und, wenn sie wollte, auch ihre Frauen. Eh e männer, Ehefrauen, Liebhaber, Geliebte: Er, Doro, konnte ihr dies nicht verbi e ten. Es würde Zeiten g e ben, in denen er sie Jahre nicht sah. Eine Frau wie sie konnte nicht alleinbleiben. Doch sie würde stets einen Platz für ihn haben, wenn er zu ihr z u rückkeh r te. Und er würde zurückkehren. Weil es sie gab, würde er niemals mehr einsam sein. Das Leben wü r de für ihn besser sein als jemals zuvor – besser als seit Jahrhu n derten, besser als seit Jahrtausenden. Es war, als sei sie die erste jener Rasse, die er zu züchten versuchte – nur mit dem Unterschied, daß er gerade sie nicht gezüc h tet hatte. Daß er nicht einmal fähig gewesen war, sie neu zu züchten. In diesem Sinn war sie nur eine unerfüllte Verheißung. Doch der Tag würde kommen …
Doros Frau Susan brachte ihr Kind einen Mond später zur Welt als Iye das ihre. Beide Babys waren Jungen, krä f tig und gesund, und sie versprachen einmal zwei hübsche Ki n der zu werden. Zu Anya n wus Freude hatte Iye ihren Sohn voller Liebe und Dankbarkeit erwartet. Anyanwu half ihr bei der Entbindung, und Iye dachte in allen ihren Schme r zen nur daran, daß Stephens Kind am Leben ble i ben und gesund sein mußte. Es war keine leichte Geburt, aber das ertrug Iye gern. Wichtig war nur, daß mit dem Kind alles in Ordnung war.
Doch dann stellte sich heraus, daß Iye ihren Sohn nicht stillen konnte. Sie hatte keine Milch. Anyanwu sprang für sie ein. Sie setzte ihre Milchdrüsen in Tätigkeit und b e suchte Iyes Hütte mehrmals am Tag, um dem Kind die Brust zu geben. Nachts nahm sie das Kind zu sich ins Haupthaus.
»Ich bin so froh, daß du dies tust, Mama«, sagte Iye. »Ich glaube es wäre zu hart für mich, ihn mit einer anderen teilen zu müssen.« Anyanwus Vorurteile und Skepsis g e genüber der Frau waren fast ganz ve r schwunden.
Dasselbe galt auch für ihre Vorurteile gegenüber Doro, obwohl diese Tatsache sie erschreckte und verwirrte. Sie
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