Wilde Saat
betrat den Raum.
Ärgerlich blickte sie ihm entgegen. Jeder im Haus re s pektierte es, wenn sie allein sein wollte. Aber was erregte sie sich! Doro respektierte nie den Wunsch eines anderen.
»Was willst du von mir?« fragte sie.
»Nichts.« Er zog sich einen Sessel an den Tisch und nahm ihr gegenüber Platz.
»Was?« Dieses Wort kam voller Bitterkeit. »Nicht noch mehr Kinder, die ich zur Welt bringen und großziehen soll? Keine neuen ungeeigneten Partner für meine Söhne und Töchter? Nichts?«
»Ich habe eine schwangere Frau und ihre beiden Kinder mitgebracht und habe auf einer Bank in New Orleans ein Konto für sie errichtet. Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir über sie zu sprechen.«
Anyanwu wandte sich ab. Es interessierte sie nicht, weshalb er gekommen war. Sie wünschte, er ginge wieder und ließ sie allein.
»Es hört nicht auf, nicht wahr?« sagte er. »Das Ste r ben.«
»Und dir macht es nichts aus, nicht wahr?«
»Es macht mir etwas aus, wenn meine Kinder sterben. Die Besten von ihnen.«
»Was tust du dagegen?«
»Ich versuche es zu ertragen. Was willst du anders tun, als es ertragen. Eines Tages werden wir Kinder haben, die nicht mehr sterben.«
»Träumst du immer noch diesen Traum?«
»Was bliebe mir noch, wenn ich ihn aufgeben würde, Anyanwu?«
Sie schwieg. Sie wußte keine Antwort. »Ich habe auch einmal daran geglaubt«, sagte sie endlich. »Als du mich von meinem Volk fortholtest. Ich zwang mich, daran zu glauben. Vielleicht … vielleicht we r de ich es eines Tages noch einmal können.«
»Du hast dich nie so verhalten, als glaubtest du da r an.«
»Aber es war so. Ich habe dich all diese Dinge tun lassen, die du mir angetan hast, und hielt bei dir aus. Bis ich erke n nen mußte, daß du den Entschluß gefaßt hattest, mich zu t ö ten.«
Er zog hörbar die Luft ein. »Dieser Entschluß war ein Irrtum«, erwiderte er. »Ich handelte aus G e wohnheit, so als wärest du irgendeine nicht zu kon t rollierende Wildsaatfrau, die ihr Soll an Kindern erfüllt hat. Jahrhundertealte G e wohnheit sagte mir, daß es Zeit war, das Notwendige für dich in die W e ge zu leiten.«
»Und was ist jetzt mit dieser Gewohnheit?«
»Ich habe sie abgelegt, was dich betrifft.« Er sah sie an, sekundenlang, dann sah er an ihr vorbei. »Ich möchte, daß du am Leben bleibst, solange es nur möglich ist. Du ahnst nicht, was ich mit mir g e kämpft habe … deinetwegen.«
Sie wollte es nicht wissen, es kümmerte sie nicht.
»Ich habe alles versucht, mich dazu zu bringen, dich zu töten. Es schien mir leichter, als dich zu ändern.«
Sie zuckte die Schultern.
Er stand auf, umfaßte ihre Arme und zog sie hoch. Sie ließ es widerstandslos mit sich geschehen. Sie war sich darüber im Klaren, daß sie zusammen auf dem Sofa landen würden, wenn sie ihn gewähren ließ. Er begehrte sie. Er nahm keine Rücksicht darauf, daß sie einen schmerzhaften Verlust e r litten hatte, daß sie um eine Freundin trauerte, daß sie a l lein sein wollte.
»Magst du diesen Körper?« fragte er. »Er ist mein G e schenk für dich.«
Sie fragte sich, welcher Mensch hatte sterben müssen, damit Doro ihr dieses Geschenk machen konnte.
»Anyanwu!« Er schüttelte sie sanft, und sie sah ihn an. Sie brauchte nicht zu ihm aufzublicken. »Du bist immer noch die Wilde aus dem Busch, die über die Schiffsreling klettern und versuchen möchte, nach Afrika zurückz u schwimmen«, sagte er. »Du sehnst dich immer noch nach dem, was du nicht haben kannst. Luisa ist tot.«
Wieder zuckte sie nur die Schultern.
»Sie werden alle sterben, alle, außer mir«, fuhr er fort. »Weil es mich gab, warst du nicht einsam auf dem Schiff. Weil es mich gibt, wirst du nie einsam sein.«
Er zog sie zum Sofa, streifte ihr die Kleider ab und lie b te sie. Sie stellte fest, daß sie sich nicht besonders dagegen sträubte. Das Lieben brachte ihr eine wohl i ge Entspannung, und als es vorüber war, flüchtete sie sich mit Leichtigkeit in den Schlaf.
Nach kurzer Zeit weckte er sie. Die niedrig stehende Sonne, die langen Schatten der Gegenstände sagten ihr, daß es noch Abend war. Sie fragte sich, weshalb er sie nicht verlassen hatte. Er hatte bekommen, w o nach ihn verlangte, und ob es seine Absicht gewesen war oder nicht, er hatte ihr Frieden gegeben. Wenn er jetzt doch nur gehen wollte!
Anyanwu sah ihn an. Halb angekleidet saß er neben ihr. Wieder dachte Anyanwu an den eigentlichen Besitzer se i nes wunderbaren, offensichtlich noch ganz
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