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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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gen, aber das spielte jetzt keine Rolle. Dem Fremden würde es gefallen.
    Anyanwu zog eines ihrer schönsten Kleider an und wählte einige erlesene Schmuckstücke aus – Armreif, Oh r ringe und Halskette. Sie bürstete das glä n zende neue Haar und ging nach unten.
    Man hatte soeben ohne sie das Supper beendet. Ihre F a milie wartete nie auf sie, wenn sie die eine oder die andere Tiergestalt trug. Sie kannten ihre Gewohnheit, die U m wandlung in aller Ruhe und G e mächlichkeit vorzunehmen. Nun saßen mehrere ihrer erwachsenen Kinder, Kane und Leah und der schwarze Fremde bei einem Glas Wein. Sie aßen Nüsse und Rosinen und unterhielten sich angeregt. Bei Anyanwus Eintritt erhoben sie sich, um sie zu begr ü ßen. Einer ihrer Söhne stellte ein Glas vor sie hin und füllte es mit ihrem Lieblingswein, einem feurigen Madeira.
    Sie hatte erst einen einzigen kleinen Schluck davon g e nommen, als der Fremde sich an sie wandte: »Das Meer hat dir gutgetan. Es war richtig, daß du eine Weile ausgespannt hast.«
    Anyanwus Schultern senkten sich leicht, obwohl sie sich bemühte, ihre Fassung zu bewahren. Es war D o ro.
    Sein Blick suchte den ihren. Er lächelte, und sie wußte, daß er ihre Enttäuschung bemerkt, ja sogar damit gerechnet hatte. Sie beschloß, ihn zu übers e hen. Sie blickte in die Runde und fragte: »Wo ist Luisa?« Die alte Frau nahm die Abendmahlzeiten sehr oft mit der Familie ein, nachdem sie zuerst ihre Pflegekinder versorgt hatte. Sie kam, um – wie sie sagte – die Unterhaltung mit den Erwachsenen nicht ganz zu verlernen.
    Doch nun, bei der Erwähnung von Luisas Namen, ve r stummten alle, und ein bedrücktes Schweigen breitete sich aus. Schließlich sagte ihr Sohn Julien, der ihr den Wein eingeschenkt hatte: »Sie ist gesto r ben, Mama.«
    Anyanwu wandte den Kopf und sah ihn an. Julien war ein unansehnlicher Mann mit einer gelbbraunen Hautfarbe. Nur seine Augen waren so beeindruckend wie die von Anyanwu und von einer ungewöhnl i chen Klarheit. Jahre zuvor hatte eine Frau, die er verzweifelt begehrte, ihn z u rückgestoßen. Er war zu Luisa gegangen, um bei ihr Trost zu finden. Luisa hatte es Anyanwu erzählt, und Anyanwu war verwundert gewesen bei der Feststellung, daß sie g e genüber der alten Frau keine Eifersucht empfand und keine Verärgerung gegenüber Julien, der mit seinem Kummer nicht zu seiner Mutter gekommen war. Lu i sa gehörte eben zur Familie. Ihre Sensitivität bewir k te, daß sie bereits am Tag ihrer Ankunft auf der Plantage keine Fremde für Anyanwu gewesen war.
    »Wie ist sie gestorben?« murmelte Anyanwu.
    »Während sie schlief«, erwiderte Julien. »Eines Abends legte sie sich hin, und am nächsten Morgen konnten die Kinder sie nicht mehr aufwecken.«
    »Es ist jetzt zwei Wochen her«, erzählte Leah. »Wir li e ßen den Priester kommen, weil wir wußten, daß dies ihr Wunsch gewesen war. Sie hatte ein würdiges Begräbnis …« Leah machte eine Pause. »Sie hat … hat nicht mehr gelitten. Ich habe mich auf ihr Bett gelegt, um zu wissen, wie sie starb. Und ich sah sie scheiden, so leicht wie …«
    Anyanwu stand auf und verließ den Tisch. Sie war for t geflogen, um sich von all den Schicksalsschlägen zu erh o len, die sie in der letzten Zeit heimgesucht hatten. Me n schen, die sie liebte, waren ihr durch den Tod genommen worden, oder deren schnelles Altern hatte sie schmerzlich daran erinnert, wie sterblich ein jeder von ihnen war. Sogar Leah, obwohl erst fünfunddreißig, hatte schon weiße Strähnen in ihrem glatten dunklen Haar.
    Anyanwu ging in die Bibliothek, schloß die Tür hinter sich – geschlossene Türen wurden in ihrem Haus respe k tiert – und setzte sich an den Schreibtisch, das Gesicht in den Händen vergraben. Luisa war achtundsiebzig gewo r den. Die Zeit des Sterbens war d a gewesen. Wie dumm von ihr, über den Tod einer alten Frau zu trauern, die für me n schliche Vorste l lungen ein hohes Alter erreicht hatte.
    Anyanwu richtete sich auf und schüttelte den Kopf. So lange sie denken konnte, hatte sie Freunde und Verwandte altern und sterben gesehen. Was berührte sie an Luisas Tod, was schmerzte und erschütterte sie so sehr daran? So sehr, als sei es eine ganz neue Erfahrung für sie? Stephen, Marg a ret, Luisa … Andere würden folgen. Immer und immer wi e der würde es andere geben. Plötzlich waren sie da, und plötzlich waren sie wieder gegangen. Nur einer würde ble i ben.
    Wie um diese Erkenntnis zu bestätigen, öffnete Doro die Tür und

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