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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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– er hatte sie betr o gen. Trotz der Lust und des Glücks, das sie einander g e schenkt hatten – er mußte töten. Trotz der neuen Erken n tnis ihres Wertes – Züchten und Töten war und blieb das ei n zige, das ihm wirklich etwas bedeutete.
    Nun denn, mochte es so sein. Mochte es so sein, sie war müde.

XIV
    Mit großer Behutsamkeit machte sich Doro von Anya n wu frei. Es war viel leichter, als er angenommen hatte, mi t ten in einem Tun einzuhalten, das ein ungemein erregender und befriedigender Tötung s vorgang hätte werden können. Aber er hatte nicht beabsichtigt, Anyanwu zu töten. Er war mit ihr we i ter gegangen, als mit den mächtigsten seiner Kinder. Bei ihnen hatte er die möglicherweise tödlich ausgehende Ve r einigung nur so weit getrieben, bis er imstande gewesen war, die Grenzen seiner Macht zu erkennen: Zu erkennen, ob diese Macht ihm in irgendeiner Weise b e drohlich werden konnte. Er u n ternahm den Versuch immer kurz nach ihrem Übergang, zu einer Zeit also, in der sie körperlich stark g e schwächt, gefühlsmäßig lustlos und sich ihrer frisch gerei f ten Fähigkeiten noch nicht genügend bewußt waren. In e i nem solchen Zustand dachten sie nicht daran, sich ihm zu widersetzen – falls sie übe r haupt dazu fähig waren.
    Doch das, was er mit Anyanwu getan hatte, war keine Prüfung gewesen. Er wußte, daß sie ihm nicht gefährlich we r den konnte, wußte, daß er sie töten konnte, solange sie nicht die Gestalt eines Tieres angenommen hatte. In dieser Hinsicht hatte es für ihn niemals irgendwelche Zweifel g e geben. Sie besaß nicht jene Fähigkeiten des Gedankenl e sens und der Gedankenbeherrschung, in denen er eine mö g liche Gefahrenquelle für sich sah. Anyanwu besaß nur die Fähigkeit, jede Zelle ihres verwandlungsfähigen Körpers zu beherrschen und zu beeinflussen. Doch ihr Geist war so offen und schutzlos wie der irgendeines beliebigen Me n schen. Und das bedeutete, daß sie durchaus einmal Schwi e rigkeiten mit den Me n schen bekommen konnte, die er ihr brachte. Sie wü r den einheiraten in ihre große »Familie« und konnten dort allerhand Verwirrung und Unheil anric h ten. Er hatte Anyanwu davor gewarnt. Eines Tages würde sie Kinder und Enkel auf der Plantage haben, die eher wie Joseph und Lale waren und nicht wie die sympathischen und mit nur geringer Sensitivität au s gestatteten Menschen, die sie jetzt um sich versa m melt hatte. Doch das war ein anderer Gesichtspunkt. Damit konnte er sich später noch befassen. Im A u genblick war nur eins wichtig: er mußte sie heil und unversehrt wieder in die Wirklichkeit zurückh o len. Nichts durfte falschlaufen. Nicht die kleinste Verärg e rung, nicht die geringste Mißdeutung auf ihrer oder seiner Seite durften dahin führen, daß er aufs neue daran denken mußte, sie zu töten. Sie war zu wertvoll für ihn.
    Anyanwu erwachte langsam und öffnete die Augen. Sie blickte sich um und fand den Raum dunkel außer dem Feuer im Kamin, das sie selbst angezündet ha t te, und außer einer einzelnen Lampe auf dem Schreibtisch. Doro lag noch neben ihr und genoß die Wärme ihres Körpers. Er mochte ihre Nähe und b e wegte sich nicht.
    »Doro?«
    Er küßte ihre Wange und entspannte sich. Sie war in Ordnung. Sie war so völlig passiv, ja teilnahmslos gewesen in ihrer Trauer. Nur deshalb hatte er das Wagnis auf sich genommen, nur deshalb war er s i cher gewesen, daß er nicht gezwungen sein würde, ihr ein Leid zuzufügen. Er war fest davon überzeugt gewesen, daß sie sich dieses eine Mal nicht gegen ihn zur Wehr setzen, daß sie ihm keine Vera n lassung geben würde, sie zu verletzen oder gar zu töten.
    »Ich lag im Sterben«, sagte sie.
    »Nein.«
    »Ich lag im Sterben. Du warst …«
    Mit der Hand verschloß er ihren Mund. Erst als er sah, daß sie nicht weiterreden würde, nahm er seine Hand wi e der fort. »Wenigstens einmal mußte ich dich auf diese Weise kennenlernen«, sagte er, »mußte dich auf diese We i se b e rühren.«
    »Warum?« fragte sie.
    »Weil es für mich keine andere Möglichkeit gibt, dir noch näherzukommen.«
    Sie wartete lange mit einer Antwort. Schließlich hob sie den Kopf und bettete ihn auf seiner Brust. Er konnte sich nicht erinnern, wann sie dies das letzte Mal von sich aus getan hatte. Er schlang die Arme um sie und dachte an jene andere, noch vollkomm e nere Umarmung. Wie hatte er es geschafft, sich auf dem Höhepunkt Einhalt zu gebieten?
    »Ist es so … so leicht auch für die anderen«,

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