Wilde Saat
t ten wie eine Feststellung geklungen, so als ob sie zu ihm gesagt hätte: »Du bist groß.« Überrascht stellte er fest, daß er nicht einmal so etwas wie Zorn oder Verärg e rung dar ü ber empfand.
»Soll ich fortgehen?« fragte er sie.
»Nein, bleib bei mir. Ich brauche dich hier.«
»Obwohl ich ein Schandfleck, eine Schamlosigkeit bin?«
»Ja, gerade deswegen.«
Sie war wie nach Luisas Tod – ungewohnt tei l nahmslos und lebensmüde. Damals war es das G e fühl der Einsamkeit und der Trauer, das sie niede r gedrückt hatte. Aber jetzt? Was war es jetzt?
»Ist es wegen Susan?« fragte er. »Ich habe nicht g e wußt, daß du ihr so nahestandest.«
»Ich habe ihr nicht nahegestanden – wohl aber du. Sie hat dir drei Kinder geschenkt.«
»Aber …«
»Es bestand keine Notwendigkeit für dich, sie zu töten.«
»Es gab nichts mehr, womit sie mir hätte nützen können. Sie hatte genug Kinder geboren, und sie konnte nicht für sie sorgen. Was hätte ich nach de i ner Meinung mit ihr noch tun sollen?«
Anyanwu erhob sich und ging aus dem Raum.
Einige Stunden später versuchte er noch einmal, mit ihr zu reden. Aber sie hörte kaum auf das, was er sagte. Sie w i dersprach ihm nicht, und sie stritt nicht mit ihm. Erneut bot er ihr an, die Plantage zu verlassen, aber sie bat ihn, zu ble i ben. Wenn er in der Nacht zu ihr kam, empfing sie ihn mit einer selts a men Bereitwilligkeit. Und trotzdem blieb sie bei ihrem Entschluß, zu sterben. Das war eine Schaml o sigkeit! Eine Unsterbliche, eine Frau, die durch Jahrtausende hi n durch mit ihm leben konnte, war fest entschlossen, Selbs t mord zu begehen. Und er wußte nicht einmal, wa r um.
Doros Verzweiflung wuchs, je näher der Tag von Anyanwus Niederkunft rückte. Er vermochte sie nicht mehr zu erreichen. Sie entzog sich ihm, obwohl sie ihm immer wi e der versicherte, daß sie ihn brauche, daß sie ihn liebe. Irgendwie blieben ihm gewisse Zugänge zu ihr ve r schlossen. Es war, als lebe sie in einer unerreichbaren Fe r ne, und alles, was er zu ihr sagte, schien ungehört zu ve r hallen.
Schließlich verließ er die Plantage für einige Wochen. Aus Protest gegen das, was sie ihm antat. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß seine Gedanken jemals so ve r wirrt g e wesen waren, daß er jemals etwas so schmerzlich und so verzweifelt ersehnt ha t te, ohne es zu bekommen.
Er hatte ihr erlaubt, ihn anzufassen, als sei er ein g e wöhnl i cher Mann. Er hatte ihr geglaubt, Gefühle in ihm zu wecken, die er zeit seines Lebens in sich verschlossen ha t te. Er hatte sein Inneres vor ihr bloßg e legt. Verwundert stellte er fest, daß er das überhaupt konnte – gleichzeitig verwunderte es ihn, daß sie all dies zwar zur Kenntnis nahm, aber niemals in irge n deiner Weise darauf antwortete. Sie – von allen Menschen!
Er begab sich hinunter nach Baton Rouge zu einer Frau, die er einmal gekannt hatte. Sie war inzw i schen verheiratet, doch der Zufall wollte es, daß ihr Mann nach Boston g e reist war, und Doro war ihr äußerst willkommen. Er blieb mehrere Tage in ihrem Haus und war immer wieder ve r sucht, der Frau von Anyanwu zu erzählen, ohne sich jedoch im letzten dazu entschließen zu können.
Er nahm sich einen neuen Körper – den eines schwarzen Freigelassenen, der nun selbst einige Sklaven besaß und auf eine unmenschliche Weise mit ihnen umging. Später fragte er sich, weshalb er den Mann überhaupt getötet ha t te. Was ging es ihn an, wie ein Sklavenhalter mit seinem Eigentum ve r fuhr!
Er entledigte sich dieses Körpers und nahm sich den e i nes anderen schwarzen Freigelassenen – ein kleiner, stä m miger und gutaussehender Mann. Ein Mann, der der etwas hellhäutigere Bruder jenes Mannes hätte sein können, de s sen Körper Anyanwu so sehr gemocht hatte. Aber vie l leicht würde sie ihn zurückweisen, weil die Ähnlichkeit mit dem anderen zu deutlich war. Vielleicht war die Erinn e rung an ihn noch zu schmerzhaft. Vielleicht jedoch erreic h te D o ro in diesem Körper auch die gegenteilige Wirkung. Vie l leicht bejahte sie ihn darin, sprach wieder mit ihm, ließ die Fremdheit zwischen ihnen zusamme n schrumpfen, ehe sie sich wegwarf wie eine nut z los gewordene Maschine.
Er kehrte zu ihr zurück.
Ihr Bauch drückte sich fest an ihn, als er sie mit einer Umarmung begrüßte. In jeder anderen Situation hätte er g e lacht und bei dem Gedanken an sein Kind darin zärtlich i h ren Leib gestreichelt. Nun sah er sie nur prüfend an und stellte fest,
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