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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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sich die schmerzende Schulter und sah sie an. »Was ist es?« fragte er leise. »Sag mir, was nicht richtig ist.«
    »Ich habe alles versucht.« Sie stieg ins Bett.
    »Dann versuche es noch einmal!«
    Sie legte sich nicht unter die Decke, sondern blieb mit überkreuzten Beinen am Kopfende sitzen. Sie schwieg und sah Doro nur forschend an.
    Doro atmete tief, ein Beben durchlief seine Gestalt, dann ließ er sich in einem Sessel neben ihrem Bett nieder. Das Zittern ließ sich nicht unterdrücken. Der neue, starke und vollkommen gesunde Körper wurde regelrecht geschüttelt, als wäre er völlig verbraucht. Er mußte ihr Einhalt gebi e ten. Er mußte.
    Er blickte Anyanwu an und bemerkte das Mitleid in i h ren Augen. Es schien, als wolle sie im nächsten Augenblick zu ihm kommen und ihn in die Arme schließen – nicht wie einen Geliebten, sondern wie eins ihrer Kinder, das sie trösten mußte. Er würde es ihr erlaubt haben. Er wäre glücklich darüber gew e sen.
    Doch sie rührte sich nicht.
    »Ich habe dir gesagt«, begann sie leise, »daß, selbst als ich dich haßte, ich dennoch an das glaubte, was wir zu tun versuchten. Ich hatte genauso wie du den Wunsch, Me n schen zu schaffen, die so sind wie wir. Auch ich hatte den Wunsch, unserer Einsamkeit ein Ende zu machen. Du wü r dest viel größere Schwi e rigkeiten mit mir gehabt haben, wenn ich an dieses Ziel nicht fest geglaubt hätte. Ich lernte, den Kopf abzuwenden und über das, was du den Menschen angetan hast, hinwegzusehen. Aber ich kann nicht über alles hinwegsehen. Du tötest deine treuesten und besten Diener. Menschen, die dir gehorchen, selbst wenn es Opfer und Schmerzen für sie bede u tet. Das Töten bereitet dir ein zu großes Vergnügen. Ein viel zu großes.«
    »Ich muß töten, gleichgültig, ob es mir Vergnügen b e reitet oder nicht«, erwiderte er. »Du weißt, wer und was ich bin.«
    »Du bist weniger, als du warst.«
    »Ich …«
    »Das Menschliche in dir stirbt, Doro. Es ist fast tot. Isaak sah es kommen und sagte es mir. Es war ein Teil u n seres Gesprächs in jener Nacht, als er mich überredete, ihn zu heiraten. Er sagte mir, eines Tages würdest du keine menschlichen Gefühle und Em p findungen mehr besitzen, und er war froh, diesen Tag nicht mehr erleben zu müssen. Er sagte, ich müsse am Leben bleiben, um das Mensc h liche in dir zu bewahren und zu retten. Er war fest davon übe r zeugt, daß ich dazu imstande sei. Aber er hatte sich geirrt. Ich vermag nichts zu retten. Es ist bereits tot.«
    »Nein.« Er schloß die Augen, versuchte das Zittern u n ter Kontrolle zu bringen. Schließlich gab er auf, blickte hinüber zu ihr. Wenn er ihr doch nur die Augen öffnen könnte. »Es ist nicht tot, Anyanwu. Bevor ich dir das zwe i te Mal begegnete, glaubte ich, es sei tot. Aber es war nicht so. Doch wenn du mich verläßt, wird es sterben!« Er wünschte, sie zu berühren, sehnte sich nach ihrer Uma r mung. Aber in dem augenblicklichen Zustand konnte er es nicht riski e ren, noch einmal durch den Raum geschleudert zu we r den. Sie mußte kommen und den Anfang machen. »Ich glaube, mein Sohn hatte recht«, sagte er. »Das Me n schliche in mir kann sterben, schrittweise und ohne daß es mir bewußt wird. Was wird aus mir werden, wenn es in meinem Leben nichts mehr gibt als den Hunger und das Stillen des Hu n gers.«
    »Irgend jemand wird einen Weg finden, die Welt von dir zu befreien«, sagte sie tonlos.
    »Aber wie? Die besten Leute, diejenigen, die vielleicht die Macht dazu hätten, gehören zu meinem Volk. Ich habe sie ausgesucht, ich beschütze sie und züchte sie seit fast vierta u send Jahren, während die anderen, die Normalen, jeden ve r giften, foltern, hängen und verbrennen, den ich verfe h le.«
    »Du bist nicht unfehlbar«, sagte sie. »Drei Jahrhu n derte lang hast du nichts von meiner Existenz g e wußt.« Sie stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Aber was soll das? Ich kann nicht voraussagen, was geschehen wird. Doch ich bin genauso froh wie Isaak, daß ich es nicht mehr erleben werde.«
    Wütend sprang er auf, wußte nicht, ob er sie verfl u chen oder anflehen sollte. Die Knie gaben unter ihm nach, und er fühlte den Zwang, in ein hemmungsl o ses Schluchzen auszubrechen.
    Weshalb half sie ihm nicht! Sie half doch sonst jedem Menschen. Plötzlich wünschte er sich weit weg von ihr. Er wollte sie nicht mehr sehen. Entweder er verließ sie jetzt oder – tötete sie. Weshalb sollte sie ihre Kräfte und ihre Macht durch

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