Wilde Saat
diesem Tag verlor er dreizehn seiner Mä n ner. Vor seinen Augen waren sie niedergesunken wie die Halme unter der Sichel des Schnitters. Dann stand er voller Entsetzen Doro geg e nüber, der in den Körper des zuletzt getöteten Schwarzen geschlüpft war. Daly zog sein Schwert. Diese Bewegung kost e te ihn die rechte Hand. Er hatte keine Ahnung davon, daß Doro überall auf der Welt verstreut einflußreiche Ve r bindungsleute besaß. Doro setzte sie in ihre Funktion ein, nachdem er sie vorher empfindlich bestraft hatte. Dann war er sicher, einen Getreuen zurückgelassen zu haben, auf dessen Dienstberei t schaft er voll und ganz bauen konnte. Daly begriff nur, daß er verschont blieb – daß Doro ihn am Leben ließ, daß er sich um seine Wunde kümmerte und bis zu seiner Gesundung für ihn sorgte.
Und als es soweit war, stellte er fest, daß er nicht länger mehr sein eigener Herr war. Er gehörte Doro. Doro konnte seinem Leben, das er ihm in jener Stunde geschenkt hatte, jederzeit ein Ende machen. Daly nahm diese Tatsache hin, so wie andere vor ihm sie hingenommen hatten. »Laß mich dir dienen!« hatte ei gesagt. »Nimm mich mit an Bord de i nes Schiffes oder zurück in deine Heimat. Ich bin immer noch stark. Auch mit einer Hand kann ich noch arbeiten, kann ich mit Schwarzen zurechtko m men.«
»Ich brauche dich hier«, hatte Doro ihm erklärt. »Wä h rend deiner Genesung habe ich Absprache mit schwarzen Kön i gen getroffen. Sie werden von jetzt an nur noch mit dir G e schäfte machen.«
Verwirrt hatte Daly ihn angestarrt. »Warum hast du das für mich getan?«
»Damit du auch für mich einiges tust«, hatte Doro geantwortet.
Und Daly hatte seine alte Stellung beibehalten. Doro schickte ihm schwarze Händler, die ihm Sklaven verkau f ten, und seine Company schickte ihm weiße Händler, die ihm die Sklaven abkauften. »Wenn du diesen Platz verläßt, kommt ein anderer hierher, um die Niederlassung zu le i ten«, erklärte Doro ihm. »Ich kann den Sklavenhandel nicht unterbinden, aber ich kann ihn kontrollieren.«
Welchen Aufwand hatte diese Kontrolle beansprucht! Aber weder die Unterstützung durch Daly noch die vielen Sp ä her entlang der Küste, die Daly jeden Fremden melden sollten, hatten ausgereicht. Alle Sicherheitsmaßnahmen hatten die Katastrophe nicht verhindern können. Jetzt wa r en sie überflüssig. Wenn diese Leute sich als Zuchtmater i al geeignet hätten, wenn sie über ungewöhnliche Fähigke i ten verfügt hätten, würde er sie mit nach Amerika geno m men haben. So brachten sie ihm keinerlei Nu t zen mehr, und er würde sie vergessen. Auch Daly würde er vergessen, s o bald er in Anyanwus Heimat gewesen war und dort alle Abkömmlinge von ihr zusammengeholt hatte, die er au s findig machen konnte. Im Augenblick jedoch war es noch nicht s o weit. Daly konnte ihm noch nützlich sein – und er war ihm immer noch treu ergeben –, Doro wußte das jetzt. Vielleicht waren die Saatdorf-Leute in Bonny, New Cal a bar oder sonst einem Sklavenhafen eing e schifft worden. Auf keinen Fall waren sie zu Dalys Niederlassung gebracht worden. Niemand konnte Doro täuschen. Selbst den Klüg s ten und Begabtesten unter Doros eigenen Kindern gelang das nicht, wenn er auf der Hut war. Außerdem hatte Daly mit der Zeit immer größeren Gefallen daran gefunden, der Arm der Macht Doros zu sein.
»Nun, da dein Volk nicht mehr hier ist«, sagte Daly, »könntest du mich doch mit nach Virginia oder New York nehmen. Dieses Land macht mich todkrank.«
»Du bleibst hier«, befahl Doro. »Du kannst mir noch nützlich sein. Ich werde noch einmal zurückko m men.«
Daly seufzte. »Fast wünsche ich, daß ich eines jener seltsamen Geschöpfe wäre, die du dein Volk nennst«, g e stand er.
Doro lächelte und wies den Schiffskapitän John Woo d ley an, Daly den Preis für Okoye zu zahlen. Dann schickte er den Sklavenhändler wieder an Land.
»Schwindsüchtiger kleiner Bastard«, knurrte Woo d ley, als Daly gegangen war.
Doro schwieg. Woodley, einer von Doros gewöhnl i chen, unbegabten Söhnen, hatte Daly noch nie g e mocht. Eine Tatsache, die Doro belustigte, denn die beiden Männer ha t ten in seinen Augen sehr viel Ähnlichkeit miteinander. Woodley war das Kind einer Zufallsverbindung, die Doro vor fünfundvierzig Jahren mit einer Londoner Kaufmann s tochter einging. Doro hatte die Frau geheiratet, als er e r fuhr, daß sie ein Kind von ihm erwartete, sie dann aber sehr rasch zur Witwe gemacht – zur wohlhabenden
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