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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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den Schritt verhielt. »Was ich ihnen zu tun erlaube, ist meine Sache, Okoye! Das ist a l les!«
    Vielleicht hatte die Zeit in der Sklaverei den Jungen Vorsicht gelehrt. Er schwieg. Anyanwu starrte Doro u n verwandt an, aber auch sie sprach kein Wort.
    »Was hat er gesagt?« fragte Daly.
    »Er mißbilligt deinen Beruf«, erklärte Doro.
    »Diese Wilden«, erwiderte Daly. »Sie sind wie Tiere! Sie sind Kannibalen!«
    »Die da nicht«, sagte Doro. »Vielleicht einige ihrer Nachbarn.«
    »Sie sind alle Kannibalen!« Daly blieb hartnäckig. »Du brauchst ihnen nur die Gelegenheit dazu zu g e ben.«
    Doro lächelte. »Nun, eines Tages werden ganz b e stimmt die Missionare zu ihnen kommen und sie lehren, einen symbolischen Kannibalismus zu üben!«
    Daly zuckte zusammen. Er hielt sich trotz seines B e rufes für einen gläubigen Christen. »Du solltest nicht so spr e chen«, murmelte er. »Selbst du unterstehst der Macht Go t tes!«
    »Verschone mich mit deinen Predigten!« sagte Doro. »Und mit deiner vor Selbstgerechtigkeit triefenden Entrü s tung!« Daly stand schon zu lange in Doros Diensten und kannte ihn zu gut, um wegen solcher Dinge verletzt zu sein. »Wir Kannibalen sind w e nigstens ehrlich bei unserem Tun«, fuhr Doro fort. »Wir geben nicht vor, an das Heil der unsterblichen Seelen unserer Opfer zu denken, wie ihr Sklavenhändler das tut. Wir reden uns nicht ein, wir mac h ten die Menschen nur zu Sklaven, um sie den wahren Glauben zu lehren.«
    Dalys Augen wurden rund. »Aber ich habe damit nicht sagen wollen, daß du ein … Ich meine, das sollte nicht he i ßen, du …«
    »Warum nicht?« Doro blickte auf ihn nieder und weid e te sich an Dalys Verwirrung. »Ich versichere dir, ich bin der größte Kannibale, den du auf der E r de finden wirst.«
    Daly schwieg. Er wölbte seine Augenbrauen und scha u te auf das Meer hinaus. Doro folgte seinem Blick und sah das Schiff, das eine halbe Meile von ihnen entfernt in einer kleinen Bucht vor Anker lag. Es war sein eigenes Schiff, die Silver Star; ein kleiner, solide gebauter und äußerst se e tüchtiger Segler. Er besaß eine unglaubliche Wendigkeit und eignete sich für eine illegale Operation besser als D o ros gr ö ßere Schiffe. Besonders wenn es darum ging, eine Fracht Sklaven an Bord zu nehmen, die eigentlich für die Royal African Company bestimmt war. Doro sah in der Nähe einige seiner Männer, die damit b e schäftigt waren, süße Kartoffeln auf ein Langboot zu verladen.
    Doro lud Daly ein, mit auf das Schiff zu kommen. Dort brachte er Anyanwu und ihren Enkel zunächst in seine K a jüte. Dann aß und trank er mit Daly und versuchte von dem Händler etwas über sein Saatdorf zu erfahren.
    »Kein Küstenvolk«, sagte Doro. »Ein Stamm des Bi n nenlandes, aus der Savanne hinter den Wäldern. Ich zeigte dir einige von ihnen bei unserer Begegnung vor einigen Ja h ren.«
    »Die Schwarzen gleichen sich wie ein Ei dem and e ren«, erwiderte Daly. »Man kann sie kaum voneinander unte r scheiden.« Er nahm einen Schluck Brandy.
    Doro streckte die Hand über den kleinen Tisch und u m spannte Dalys Unterarm, an dem die Hand fehlte. »Wenn du dazu nicht imstande bist, taugst du nicht viel für mich.«
    Daly zuckte zusammen, seine Augen weiteten sich vor Schreck. Mit Mühe hielt er sich davor zurück, Doro seinen Arm zu entreißen. Bewegungslos saß er da. Vielleicht eri n nerte er sich daran, wie seine Männer damals gestorben waren, ob Doro sie berührt hatte oder nicht. »Es war nur ein Scherz«, brachte er heiser hervor.
    Doro sagte nichts, blickte ihn nur an.
    »Deine Leute haben arabisches Blut in sich«, fuhr Daly hastig fort. »Ich erinnere mich an ihr Aussehen, an die Worte ihrer Sprache, die du mich lehrtest, und an ihren schwierigen Charakter. Keine einfache Sache, sie zu gef ü gigen Sklaven zu machen und am Leben zu lassen. Keiner, der so war wie sie, ging durch meine Hände, ohne daß ich ihn einer gründl i chen Prüfung unterzog.«
    »Wiederhole die Worte, die ich dich gelehrt habe!«
    Daly gehorchte. Es waren Worte in der Sprache des Saatgut-Volkes. Fragen, ob sie zu Doro gehörten, ob sie Doros »Saat« seien.
    Doro ließ Dalys Arm los. Der Händler hatte die Worte exakt ausgesprochen. Doro konnte sicher sein, daß die B e wohner seines Saatdorfes sie verstanden hätten und in der Lage gewesen wären, darauf zu antworten. Sie waren – wie Daly mit Recht bemerkt hatte – äußerst schwierige Leute. Übellaunig, miß t rauisch gegenüber Fremden,

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