Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
Vom Netzwerk:
Witwe ve r steht sich. Während John Woodley hera n wuchs, hatte Doro ihn zweimal gesehen. Beim zwe i tenmal äußerte Woodley den Wunsch, zur See zu fahren, und Doro hatte ihn auf e i nem seiner Schiffe untergebracht. Woodley hatte sich vom Leichtmatr o sen zum Kapitän emporgedient. Er hätte ein wohlhabender Mann werden können oder Kommandant eines großen Seeschiffes, doch er zog es vor, Doros klein s ten Segler zu befehligen, um in Doros Nähe zu sein. Wie Daly fand er seine Erfüllung darin, ein Arm der Macht D o ros zu sein. Und wie Daly war er eifersüchtig auf alle, die ihm bei Doro den Rang a b laufen konnten.
    »Dieses kleine Miststück wäre tatsächlich mitgefa h ren, wenn du ihn gelassen hättest«, sagte Woodley zu Doro. »Er ist nicht besser als einer von seinen Schwarzen. Ich begre i fe nicht, was du an ihm hast.«
    »Er arbeitet für mich«, erwiderte Doro. »Genau wie du.«
    »Das ist nicht das gleiche.«
    Doro zuckte die Achseln. Er hielt es nicht für nötig, Woodleys Irrtum aufzuklären. Woodley wußte nä m lich sehr viel besser, als Daly es jemals wissen kon n te, wie sehr es das gleiche war. Er hatte oft genug mit Doros begabteren Ki n dern zu tun gehabt, um sich selbst in seinem Wert nicht zu überschätzen. Und er wußte: Die lebende Generation von Doros Söhnen und Töchtern war so zahlreich, daß man e i ne ganze Stadt damit hätte bevölkern können. Er wußte, wie leicht sie beide, er und Daly, zu erse t zen waren. Nach einem Augenblick seufzte er, wie Daly g e seufzt hatte. »Ich nehme an, die beiden Schwarzen, die du heute mit an Bord gebracht hast, besitzen b e sondere Fähigkeiten«, sagte er. »Richtig«, antwortete Doro. »Etwas ganz Neues.« »Gottl o se Tiere«, stieß Woodley grimmig hervor. Er wandte sich ab und verließ den Raum.

IV
    Das Schiff flößte Anyanwu Furcht ein. Doch Okoye g e riet regelrecht in Panik. Er hatte gesehen, daß die Schiffsbesa t zung hauptsächlich aus Weißen bestand, und er hatte in seinem bisherigen Leben mit den Weißen keine guten E r fahrungen gemacht. Außerdem hatten Mitsklaven ihm e r zählt, die Weißen seien Menschenfresser.
    »Sie werden uns in ihr Land verschleppen, uns mästen und aufessen«, sagte er zu Anyanwu.
    »Nein«, versicherte sie ihm. »Sie haben nicht die Ang e wohnheit, Menschenfleisch zu essen. Und selbst wenn es so wäre, unser Master würde es nicht zulassen. Er ist ein mächtiger, einflußreicher Mann.«
    Okoye zitterte am ganzen Leib. »Er ist kein Mann.«
    Anyanwu starrte ihn an. Wie hatte er Doros Andersa r tigkeit so schnell erkennen können!
    »Er war es, der mich an die Weißen verkauft hat. Ich eri n nere mich ganz genau an ihn. Er hat mich g e schlagen. Es ist dasselbe Gesicht, dieselbe Haut. Und doch ist etwas an ihm anders als vorher. Etwas in seinem Inneren. Er ist ein Geist!«
    »Okoye!« Anyanwu sprach sehr eindringlich und wart e te, bis er dieses angstvolle Starren ins Leere aufgab und ihr sein Gesicht zuwandte. »Wenn Doro ein Geist ist«, sagte sie, »dann hat er dir einen Dienst erwiesen. Er hat deinen Feind für dich getötet. Ist das ein Grund, ihn zu fürchten?«
    »Du fürchtest ihn ja selbst. Ich habe es dir anges e hen.«
    Anyanwu schenkte ihm ein trauriges Lächeln. »Nicht so, wie ich es vielleicht sollte.«
    »Er ist ein Geist!«
    »Du weißt, daß ich eine Verwandte deiner Mutter bin, Okoye.«
    Er blickte sie eine Weile an, ohne zu antworten. Schlie ß lich fragte er: »Wurde ihr Volk auch in die Sklaverei ve r schleppt?«
    »Als ich sie das letzte Mal sah, noch nicht.«
    »Und wie hat man dich gefangen?«
    »Erinnerst du dich an deiner Mutter Mutter?«
    »Sie ist das Orakel. Die Gottheit spricht durch sie.«
    »Sie ist Anyanwu, die Mutter deiner Mutter«, sagte Anyanwu. »Sie fütterte dich mit Kartoffelbrei und heilte dich von einer Krankheit, an der du fast g e storben wärst. Sie erzählte dir die Geschichten von der Schildkröte, vom Affen, vom Seereiher … Und manchmal, wenn du sie im Schein des Feuers und der Lampe anschautest, schien es dir, als würde sie sich verwandeln und die Gestalten dieser Tiere annehmen. Zuerst hattest du Angst davor. Dann fa n dest du Vergnügen daran. Du hast dir ständig neue G e schichten und neue Verwandlungen gewünscht. Du wol l test dich ebenfalls verwandeln können.«
    »Ich war ein Kind«, sagte Okoye. »Ich habe das alles nur geträumt.«
    »Nein, du warst wach.«
    »Das kannst du doch gar nicht wissen.«
    »Ich weiß es!«
    »Ich habe nie mit

Weitere Kostenlose Bücher