Wilde Wellen
geschoben und dort vergessen hatte.
Sie öffnete die Tür.
»Caspar, was machst du so früh in â¦Â«
Die Stimme versagte ihr, als Leon sich zu ihr umdrehte.
»Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«
»Leon. Oh mein Gott. Ich habe es gewusst. Ich habe es die ganze Zeit gewusst, dass du nicht tot bist.« Sie war in seinen Armen, umarmte ihn, küsste ihn. Drängte sich an ihn. Lachte und weinte zugleich.
»Komm, wir müssen Caspar wecken. Er ist so unglücklich, seit du verschwunden bist. Und dann musst du uns alles erzählen, wo du warst, wie es dir ergangen ist. Wer dich gerettet hat. Oh, entschuldige, ich rede zu viel. Willst du erstmal einen Kaffee? Frische Croissants haben wir noch nicht. Aber es ist noch Kuchen da. Oder ich könnte dir ein Ei machen oder â¦Â«
Die Worte sprudelten aus ihrem Mund. Aufregung und Freude mischten sich zu einer irren Heiterkeit, die Leon ganz verlegen machte.
»Warte Claire, lassen wir Caspar doch noch ein bisschen schlafen. Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.«
Hatte er etwa das gefälschte Testament gefunden? Ein Blick auf den Schreibtisch belehrte sie eines Besseren. Die Schreibunterlage lag unverrutscht da.
»Natürlich. Es tut mir leid, du musst ja denken, ich bin irre. Aber das bin ich auch. Die Tage ohne dich waren so furchtbar. Ich war so verzweifelt. Weil alle mir einreden wollten, dass du nicht mehr zurückkommen würdest. Ich solle mich darauf einrichten, Witwe zu sein.«
Er hielt ihre Hände fest. Sie musste ihm zuhören. Er musste es ihr jetzt sagen. Jetzt hatte er den Mut, zu allem zu stehen, was er getan hatte. Ob das morgen noch einmal der Fall sein würde oder übermorgen, das wusste er nicht.
»Hör mir bitte zu, Claire. Ich hatte in den letzten Tagen viel Zeit zum Nachdenken. Und ich weià jetzt endlich, was ich tun muss. Was ich schon sehr lange hätte tun sollen.«
Caspar wusste schon längst nicht mehr, wie viele Kilometer er mit dem Bulli in dieser Nacht zurückgelegt hatte. Nur fahren. Nicht stehen bleiben, einfach nur fahren. Zu mehr war er nicht fähig gewesen. Zuerst war er nach Concarneau an den Hafen gefahren. Er hatte Marie aufs Boot bringen und davonfahren wollen. Doch gerade als er an den Hafen kam, kehrten die ersten Fischerboote von ihrem Fang zurück. Hektisches Treiben begann. In dem er auf gar keinen Fall die bewusstlose Marie aufs Schiff bringen konnte. Er hatte Michel zugewinkt, der sein Auto erkannt und ihm zugerufen hatte, ob er seine Schiffe kontrollieren wollte. Er hatte gelacht und ihm gesagt, dass er eigentlich auf dem Weg zum Strand sei in der Hoffnung, dass es heute noch einmal eine gute Welle geben würde. Dann hatte er den Bulli gewendet und war davongefahren. Seitdem kurvte er auf den teilweise vereisten StraÃen herum. Nervös. Und enttäuscht, weil Marie ihm so viele Schwierigkeiten machte. Als sie aus ihrer Ohnmacht aufgewacht war, hatte sie angefangen, auf ihn einzureden. Dass er sich unglücklich mache, dass er sie freilassen solle. Dass das alles doch keinen Wert habe. Er hatte sie angeschrien, dass sie den Mund halten sollte. Aber sie hatte nicht aufgehört, auf ihn einzureden. Und als er in einem kleinen Waldstück angehalten hatte, um zu pinkeln, hatte sie, kaum hatte er die Tür geöffnet, angefangen um Hilfe zu rufen. Was war ihm anderes übrig geblieben? Er hatte ihr mit der Taschenlampe, die neben seinem Sitz lag, noch einmal einen Schlag an die Schläfe gegeben und als sie das Bewusstsein verloren hatte, hatte er sie gefesselt und mit einem Taschentuch geknebelt. Die Tränen stiegen ihm in die Augen, als er sie so verschnürt daliegen sah. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Irgendwas lief hier gerade entsetzlich schief.
»Ruhe bewahren. Du musst einfach nur Ruhe bewahren. Und dann wird alles gut.« Er würde abwarten bis zur Mittagszeit. Dann war am Hafen meistens Ruhe. Vor allem im Herbst, wenn die Touristen zu Hause in ihren warmen Stuben saÃen. Wenn er Glück hatte, würden die Fischer im Bistro zu Mittag essen, und er könnte Marie unbeobachtet unter Deck schaffen. Bis dahin aber musste er vermeiden, dass sie irgendjemandem begegneten.
Claire sah Leon verständnisvoll an.
»Du darfst jetzt nicht an uns denken, mein Liebster. Ich habe ja nicht gewusst, wie sehr du dich die ganzen Jahre gequält hast. Natürlich gehst du zur Polizei. Und wenn du willst,
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