Wilde Wellen
mächtig zu werden. Er war gereift. Und möglicherweise auch geläutert. Er würde endlich die Verantwortung für seine Taten übernehmen. Und dafür liebte sie ihn.
»Viel Glück, Leon.« Mehr konnte sie nicht sagen.
»Danke, Sabine. Danke für alles.« Es wäre der Zeitpunkt gewesen, sich loszulassen. Leon hätte endlich gehen müssen. Doch da fanden sich plötzlich ihre Münder. Und sie versanken in einem verzweifelten, sehnsuchtsgeladenen Kuss. »Geh nicht weg«, flehte ihr Körper stumm. »Bleib bei mir. Für immer.« Leon trug Sabine auf ihr groÃes, mit bunten mexikanischen Decken bedecktes Bett. Und als sie sich liebten, war es so vertraut, als wären seit dem letzten Mal keine zwanzig Jahre vergangen.
Marie sprang auf, als sie Pauls Schritte herankommen hörte.
Sie riss die Tür auf.
»Da bist du ja endlich.« Sie wollte Paul in die Arme fallen und erstarrte in ihrer Bewegung. Der Himmel hatte aufgerissen und im fahlen Licht des Halbmonds erkannte sie, dass es nicht Paul war, der vor der Tür stand, sondern Caspar. Der sie sofort und ohne zu zögern an sich zog.
»Es tut mir so leid, Marie. Ich weiÃ, dass ihr befreundet wart. Es ist so schrecklich.«
Marie machte sich ungeduldig los. Wovon er rede, wollte sie wissen. Und wusste es natürlich ganz genau. Caspar hatte wie alle anderen davon gehört, dass Paul ums Leben gekommen sein musste.
»Ich dachte, du sollst an so einem Abend nicht allein sein. Du musst dich ja zu Tode fürchten in diesem Haus.«
»Ich bin nicht allein, Merlin ist bei mir. Und weiÃt du was, er liegt ganz ruhig vor dem Kamin. Das ist eine Bestätigung für mich. Wenn Paul etwas passiert wäre, würde Merlin sicher verzweifelt winseln. Oder an der Tür kratzen und hinauswollen, um Paul zu suchen.«
Sie lieà Caspar ins Haus. Auch wenn sie im Grunde allein auf Pauls Rückkehr warten wollte, es war doch sehr nett von Caspar, dass er gekommen war, um nach ihr zu sehen.
»Willst du ein Glas Wein? Oder lieber einen Tee?«
»Wein ist schon in Ordnung.« Während sie die Flasche Rotwein aus dem Schrank holte, sah Caspar sich um. Hier also hatte dieser Mann gelebt. In diesem Bett am Fenster hatte er geschlafen. Mit Marie? Hatte er mit Marie wohl geschlafen? Waren sie schon so weit gewesen, dass sie ihm ihren Körper geschenkt hatte? Sein Herz wummerte gegen seine Brust, seine Hände verknoteten sich ineinander, wie um die Nervosität, die in ihm aufstieg, zu unterdrücken. Und wenn schon, sie hatte es sicher nicht gern getan. Er wird sie überrumpelt haben. Vielleicht sogar gezwungen. Vielleicht hatte sie ihm ja sogar ihren Körper geschenkt. Aber ihre Seele war rein geblieben. Unschuldig. Weil ihre Seele ihm gehörte.
Marie reichte ihm das Glas. Hoffentlich trank er es schnell aus. Sie wollte nicht, dass er hier sein würde, wenn Paul zurückkam. Obwohl sie die ganze Zeit versucht hatte, Paul anzurufen und immer nur bei der Mailbox gelandet war, war sie überzeugt, dass er jeden Moment zur Tür hereinkommen würde. Ohne auf Caspars Worte zu achten, trank sie einen Schluck Wein und lauschte in die Nacht hinaus.
»Entschuldige, was hast du gesagt?« Er hatte ihren Arm berührt und sich beklagt, weil sie ihm nicht zuhörte.
»Ich habe eine Yacht gekauft. Mit der wir um die Welt fahren können.«
»Tatsächlich, eine Yacht? WeiÃt du, das finde ich tapfer von dir. Ich meine, wo doch dein Vater gerade auf See â¦Â« Sie unterbrach sich verlegen. Wie taktlos, ihn so plump auf den Tod seines Vaters anzusprechen.
»Du meinst, wo er gerade ertrunken ist? Du musst keine Angst haben, der Verkäufer hat mir versichert, dass unsere Yacht unsinkbar ist. Sie haben da so Techniken, die sind ganz neu. Ich hab zwar nicht verstanden, wie das geht, aber ich vertraue dem Schiff hundertprozentig. Wir werden uns irre wohlfühlen darauf. Und wenn wir dann einen Ort gefunden haben, an dem wir bleiben können, dann können wir sie ja verkaufen und uns ein â¦Â«
»Ehrlich gesagt, Caspar, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Natürlich weiÃt du das. Ich rede von dir und mir. Von unserem Leben. Morgen oder übermorgen werden wir in See stechen und uns einen Platz suchen, der â¦Â«
»Ich weià nicht, wie du darauf kommst, dass ich mit dir fahre. Caspar. Es tut mir leid, aber ich glaube, da liegt ein
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