Wilder Eukalyptus
Scheune und die Schafgehege still in der aufgehenden Morgensonne. Die Ochsengehege befanden sich auf einem anderen Teil der Farm, in der Nähe der Viehtreiberhütte, wo Bulla und Garry wohnten.
Gemma beobachtete die goldenen Sonnenstrahlen, die die Blätter der Eukalyptusbäume zum Glänzen brachten. Sie liebte den Tagesanbruch auf der Farm, auch wenn es die Stunde war, in der sie Adam besonders schmerzlich vermisste. Sie waren immer schon bei Morgengrauen zusammen aufgestanden, um beim ersten Kaffee den Sonnenaufgang zu beobachten und sich in Ruhe zu unterhalten. Sie hatten den Tagesablauf besprochen, Entscheidungen getroffen und ihre Zweisamkeit genossen.
Mit einem Anflug von wilder Entschlossenheit verdrängte Gemma ihre Trauer. Sie tauschte ihre Lammfellstiefel gegen Arbeitsschuhe, sprang dann mit einem Satz über das Verandageländer und lief zu ihrem Pick-up, der in dem Carport neben dem Haus stand.
Morgenstund hat Gold im Mund , dachte sie. Sie startete den Motor, und als sie vom Hof fuhr, jauchzte sie laut auf. Sie schüttelte ihr weizenblondes Haar, genoss den Fahrtwind im Gesicht und freute sich auf den bevorstehenden Tag.
An einem anderen Ort, in einem anderen Teil von South Australia, studierte währenddessen ein Mann seine Unterlagen und klopfte dabei nachdenklich mit zwei Fingern auf seine Unterlippe. Er hatte keine Ahnung, wie viel Gemma wusste - falls sie überhaupt etwas wusste. War es Adam gelungen, seiner Frau nach dem Flugzeugabsturz eine Nachricht zukommen zu lassen? Es hieß, Adam sei nach dem Aufprall noch kurz bei Bewusstsein gewesen. Was genau war in diesen letzten Minuten geschehen? Er musste es unbedingt herausfinden …
Kapitel 2
F ür Gemma gab es nichts Schöneres, als das eigene Land abzufahren, die saftigen Weiden und die großen Herden mit ihren Jungtieren, die herumtollten, Bocksprünge machten und einander jagten. Über viele Jahre hinweg war hier im Norden kein einziger grüner Grashalm gewachsen. Die Dürre hatte die Weidegründe in trockenen, staubigen Boden verwandelt. Darum war der herrliche Anblick der endlos grünen Wiesen eine Labsal für die Seele.
Gegen halb eins kehrte sie mit ihrem Geländewagen um und fuhr zurück zum Hof, nachdem ihr nichts Ungewöhnliches aufgefallen war. Zu Hause angekommen, stellte sie zunächst den Wasserkocher in der Küche an und ging anschließend direkt ins Büro. Der Anruf beantworter blinkte.
»Hi Gem, hier ist Jess. Was treibst du? Hast schon eine Ewigkeit nichts von dir hören lassen. Hoffe, es geht dir gut. Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast. Bis dann!« Gemma lächelte, während sie Jess’ fröhlicher Stimme lauschte, in der jedoch ein besorgter Unterton mitschwang - sie musste Jess unbedingt anrufen.
»Äh, guten Tag. Hier spricht Mike Martin vom Australian Transport Safety Bureau. Ich möchte Ihnen kurz mitteilen, dass der Unfallbericht zum Absturz der Foxtrott Juliet Papa abgeschlossen ist. Die Unglücksursache war
ein Ausfall des Triebwerks, der eine Notlandung erforderlich machte. Daraufhin kollidierte das Fahrwerk mit einem hohen Baum, was schließlich zu einer Bruchlandung mit Todesfolge führte. Sollten Sie dazu weitere Fragen haben, rufen Sie mich an. Ich bin heute den ganzen Tag im Büro zu erreichen.«
»Bruchlandung mit Todesfolge?«, murmelte Gemma, während sie sich die Telefonnummer notierte, die anschließend folgte. Sie lehnte sich gegen den Schreibtisch, und plötzlich hatte sie wieder das Flugzeug vor Augen. Wie es in der Luft geschwankt hatte, wie die Räder unter dem Rumpf weggeknickt waren und wie das Blech sich einer Ziehharmonika gleich zusammenfaltete, als die Maschine auf dem Boden aufschlug.
»Gem, ich bin’s noch mal.« Gemma blickte geistesabwesend auf den Anrufbeantworter. »Ich habe spontan beschlossen, am kommenden Wochenende zu dir rauszukommen. Schätze, ich bin Freitagabend so gegen halb acht da. Ich melde mich kurz, bevor ich losfahre. Freu mich auf dich!«
»Das ist ja super!«, sagte Gemma laut. Die Stimme ihrer Freundin hatte die schlimmen Bilder in ihrem Kopf vertrieben.
»Bist du da, Gemma?« Der Lautsprecher erwachte knackend und rauschend zum Leben, als Bulla, einer ihrer Viehtreiber, sie anfunkte. Gemma drehte sich zu der Funkstation in dem Regal mit den Ordnern um, in denen die letzten drei Generationen ihrer Viehzucht dokumentiert waren, und nahm das Sprechmikrofon in die Hand.
»Ja?«, antwortete sie.
»Gem, ich habe schon wieder’ne Schafherde mit Zuwachs entdeckt.
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