Wilder Wein
folgen.«
Er blickte sie durchaus nicht erschrocken, sondern nur zweifelnd an, tat dies auch noch, als sie hinzusetzte: »Und zwar unwiderruflich, mein lieber Vater.«
»Anne, das ist doch nicht dein Ernst.«
»Das wirst du schon sehen, daß das mein Ernst ist.«
»Anne …« Er schüttelte den Kopf. »Anne, mach keinen solchen Quatsch. Das liegt gar nicht in deiner Art. Du bist doch nicht plötzlich wahnsinnig geworden. Was willst du denn mit dem? Komm, setz dich her, ich will dir erklären –«
»Spar dir das!« unterbrach sie ihn hart. »Ich weiß, was du mir erklären willst: genau das, was du mir seit eh und je erklärt hast. Ich kenne jedes Wort deiner Philosophie, und deshalb ist jetzt jedes Wort überflüssig. Ich gehe!«
»Anne«, stieß er hervor, den Ernst der Lage langsam erkennend, »du mußt tatsächlich plötzlich vollkommen verrückt geworden sein. Was ist mit Hermann Zumberg?«
Anne lachte plötzlich kurz und kalt.
»Mit dem?«
»Ja, mit dem? Den scheinst du völlig vergessen zu haben!«
»Oder er mich.«
»Wie … wie soll ich das verstehen?«
»Der hat sich schon anderweitig getröstet.«
»Waaas? Das glaube ich nicht!«
»Frag seine neue Flamme.«
»Kenne ich die?«
»Sehr gut sogar.«
»Wer ist sie?«
»Ingrid Rehbein.«
Der Blitz schien in Selzers Nervenzentrum eingeschlagen und ihn dadurch gelähmt zu haben. Solche Mitteilungen sind aber auch geeignet, den stärksten Mann, wie der Volksmund sagt, umzuhauen. Fassungslos starrte der Winzer seine Tochter an.
Endlich krächzte er: »Du machst einen Scherz?«
»Durchaus nicht, lieber Vater.«
»Ich glaube das nicht.«
»Ich glaube es für dich mit, lieber Vater.«
Annes lieber Vater, der gezielte Ironie dieser Art in diesen Augenblicken am wenigsten vertragen konnte, knirschte mit den Zähnen.
»Seit wann willst du das wissen?« preßte er hervor.
»Seit gestern.«
»Von wem?«
»Du wirst lachen, lieber Vater, entscheidende Gewißheit gab mir Schang.«
»Weeer?«
Das schlug dem Faß den Boden aus. Selzer fuhr aus der Haut. Daß seiner Blamage, seiner Schande ausgerechnet ein Idiot, ein Geistesschwacher in seinen Augen, auf die Spur gekommen sein sollte, das schien ihm am unerträglichsten. Er bekam einen Tobsuchtsanfall, zerschmiß zwei tönerne Aschenbecher, stieß fürchterliche Verwünschungen aus, nannte alle Frauen ›Weiber‹ und alle Düsseldorfer ›blöde Heinis‹, wollte auch noch den Schreibtisch umwerfen und schwor, als dabei sein Blick auf die Steuerunterlagen fiel, daß er als nächstes das Finanzamt anzünden werde.
Er hielt inne, als er merkte, daß er allein war. Anne hatte ihn sich selbst überlassen.
»Anne!« brüllte er. »Komm her! Anne!«
Niemand erschien. Seine Tochter hatte ihn in dieser Minute verlassen – äußerlich und, was noch viel bedeutsamer war, auch innerlich.
Anne Selzer brach ihre Zelte in Wehlen ganz planmäßig ab. Einen oder zwei Koffer vollzupacken und damit zu verschwinden, das wäre Annes Verhältnissen nicht angepaßt gewesen. Bei Veränderungen dieser Art lassen sogenannte ›kleine Mädchen‹ am Ort, von dem sie sich trennen, nichts weiter zurück als eine kurze Erinnerung an sie. Anne Selzer war aber – in diesem Sinne – kein ›kleines Mädchen‹, sondern ein ziemlich vermögendes. Ihr mütterliches Erbteil, das in den Selzerschen Liegenschaften steckte und arbeitete, war beträchtlich. Um daraus aber laufende Einkünfte ziehen zu können, auf die Anne bisher verzichtet hatte, mußte anwaltschaftlich einiges entsprechend reguliert werden. Die neue Situation zwischen ihr und ihrem Vater schloß es aus, daß sie sich von ihm, wie früher, auch weiterhin mit dem Nötigsten an Geldmitteln versehen ließ. An diese Einführung hatte sich Baptist Selzer nur allzu gerne gewöhnt gehabt; sie schien ihm das Natürlichste auf der Welt zu sein. Er fiel deshalb aus allen Wolken, als ihn der erste Brief des von Anne engagierten Anwalts erreichte; er war aber auch zu stolz – sprich: stur –, um seinen Kurs zu ändern. Er wußte, daß es für ihn nur eine einzige Möglichkeit gegeben hätte, das alte Verhältnis mit seiner Tochter wiederherzustellen: diesen Koblenzer Maler zu akzeptieren. Und das kam nie und nimmer in Frage!
Anne hatte sich abgesetzt zu einer Tante in Dortmund.
Warum nicht zu Fritz Brühe?
Nun, sie konnte sich selbst nicht ganz verleugnen und hätte es deshalb gern gesehen, wenn Fritz zu ihr gekommen wäre. Sie hatte dafür gesorgt, daß die Köchin im
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