Wildes Blut
war, die Gus eine wunderbare Ehefrau sein würde.
Und das würde sie wahrscheinlich auch, dachte Rachel. Livie würde sicher schwer arbeiten, um jeden Nachbarn im Umkreis von zehn Meilen davon zu überzeugen, daß sie die ideale Ehefrau war – aber dabei gar nicht begreifen, daß die anderen so damit beschäftigt waren, ihre eigenen Farmen zu bewirtschaften, daß ihr eigener Erfolg oder Mißerfolg letztendlich bedeutungslos war. Rachel mochte das schwedische Mädchen zwar nicht, aber sie tat ihr von Herzen leid, denn ihrer Meinung nach würde Livie nie wahres Glück erfahren, sondern gezwungen sein, sich mit seinen hohlen Verzierungen zufrieden zu geben – und, was noch trauriger war, den Unterschied nicht einmal merken. Für Gus hatte Rachel noch mehr Mitleid, weil er sich so hatte hinters Licht führen lassen. Aber vielleicht würde seine Liebe im Lauf der Zeit Livie ermöglichen, weniger unsicher und verängstigt zu sein, gütiger und liebevoller. Vielleicht würde er die giftige Person, die Rachel in Livie entdeckt hatte, nie kennenlernen. Sie wußte es nicht.
Sie war mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und nachdem die menschliche Natur, ob gut oder schlecht, so beschaffen ist, daß der Schmerz eines angestoßenen Zehs einen Menschen mehr trifft als der des Nachbarn, der einen Fuß verloren hat, beschäftigte sie sich nicht allzu lange mit Gus und Livies Ehe. Und sie vergaß sie sogar ganz, als Adam mit einer Botschaft eintraf, die für Slade schicksalhaft sein sollte.
Rachel sollte sie bis ans Ende ihrer Tage nicht vergessen, denn nie zuvor und auch nie danach hatte sie einen solchen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen. Er sah so furchterregend aus, als Adam ihm die harmlos aussehende Spielkarte reichte, daß Rachel trotz ihrer großen Liebe zu ihm das Blut in den Adern gefror. Und plötzlich kam ihr der Gedanke, ängstlich, intuitiv: Es ist etwas passiert, etwas, das so furchtbar ist, daß sich zwischen uns alles verändert hat und vielleicht nie wieder so werden wird wie früher.
»Ich bin gestern in einem Saloon in Delano in ein Farospiel geraten«, begann Adam seine Erklärung, wie er an die Karte gekommen war. Er errötete bei diesem Geständnis und wagte nicht, Eve in die Augen zu sehen, die sich bei dieser Neuigkeit aufgerichtet hatte und ihn jetzt vorwurfsvoll ansah. »Auf jeden Fall spielt das keine Rolle«, fuhr der junge Mann hastig fort. »Das Wichtige ist, daß ein Kerl an diesem Tisch saß – nicht die übliche Sorte, die man in Delano sieht, sondern ein teuer gekleideter Gentleman. Ich hab’ zuerst gedacht, er wäre irgendein Dummkopf, der gerade mit der Kutsche aus dem Osten gekommen ist, ein französischer Dandy – nichts für ungut, Slade –, aber das war er nicht.
Er hat ziemlich viel getrunken – gutes Zeug –, aber man hat ihm nichts angemerkt, Slade, obwohl er sicher betrunken war, sonst wüßte ich keine Erklärung für sein Verhalten. Denn im Lauf des Abends hat er den Verdacht gekriegt, daß ihn der Croupier betrügt, und vielleicht hat das auch tatsächlich gestimmt, ich weiß es nicht. Ich wüßte nicht wie, aber möglich ist ja wohl alles. Auf jeden Fall gab’s Streit deswegen, und der Croupier hat ein Messer aus dem Ärmel gezogen, und bevor irgend jemand irgendwas machen konnte, hat der Franzose blitzschnell eine Derringer aus seiner Tasche gezogen und dem Croupier eine Kugel zwischen die Augen verpaßt. Ich hab’ so was in meinem Leben noch nicht gesehen, Slade, das Blut ist überall herumgespritzt.« Adam verstummte erschrocken, als er sah, wie Eve blaß wurde. Nach kurzer Zeit fuhr er fort.
»… Die Sache ist die, nachdem das alles vorbei war, der Croupier weggeschafft und der Franzose dem Barmann Geld zugesteckt hat, damit er den Sheriff nicht ruft – irgendwie hab’ ich das Gefühl, daß er steckbrieflich gesucht wird –, hat er sich eiskalt wieder an den Tisch gesetzt, als wär’ nichts passiert.
Na ja, du weißt ja, wie mich Waffen interessieren, und deshalb bin ich mit ihm ins Gespräch gekommen, und wie wir so geredet haben, hab’ ich so ganz beiläufig erwähnt, daß wir hier in Wichita auch einen Revolvermann haben. Und der Franzose hat gesagt: ›Oh, wen denn?‹ Und ich hab’ gesagt: ›Slade Maverick.‹ Und dann hat er auf einmal so einen komischen Blick gekriegt und ist ganz still geworden, als ob ich ihn auf den Kopf geschlagen hätte, oder so was. Dann hat er den Kartenschuh genommen und alle Karten rausgerissen, bis er die gefunden
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