Wildes Blut
Boden stürzte. Ich vergewisserte mich nicht, ob er tot war. Ich raffte Thérèse in meine Arme, legte sie in die Kutsche und jagte wie der Teufel zum nächsten Arzt. Aber es war zu spät. Sie war tot, als ich ankam.« Dann sagte er mit dumpfer Stimme: »Seither säubere ich die Welt von Ungeziefer wie Digger Thibeaux – und jetzt, wo ich weiß, daß er noch am Leben ist, werde ich zu Ende bringen, was in dieser Nacht in New Orleans angefangen hat. Ich schulde es Thérèse. Ich schulde es mir selbst.«
Die Tränen auf ihrem Gesicht wirkten wie kleine Prismen im Mondlicht, und Rachel wollte etwas sagen, protestieren – sie liebte ihn und hatte Angst, ihn zu verlieren, genau wie Thérèse Duvalier Angst gehabt hatte. Aber Slade ließ sie mit einer Geste verstummen.
»Nein, sag kein Wort, Rachel. Du verschwendest nur deine Zeit, wenn du mich überreden willst, nicht zu gehen, weil ich das nicht kann. Ich kenne bereits alle guten Gründe, warum ich Digger nicht mehr begegnen sollte und einen zwingenden Grund, es doch zu tun -aber dieser eine genügt. Er überwiegt alles andere. Also bitte, geh einfach zurück ins Haus. Bitte, Rachel. Ich muß eine Weile allein sein und alles durchdenken, damit ich klar sehe.«
Rachel versuchte vergeblich, ihr Schluchzen zu unterdrücken, drehte sich um und rannte zurück zum Blockhaus. Slade sah ihr mit zugeschnürter Kehle nach und versuchte, sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Nach geraumer Zeit schritt er entschlossen zur Scheune, um den Wagen anzuspannen, damit er die Kinder nach Hause bringen konnte.
Dort fand ihn Poke. Der Revolvermann sah ihn stumm im flackernden Laternenlicht an und wandte sich dann brüsk wieder den Pferden zu. Poke seufzte. Die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, würde nicht leicht sein. Aber er gab nicht auf.
»Slade. Hast du ’nen Moment Zeit für mich?« fragte er.
»Willst du dich etwa auch in meine Angelegenheiten einmischen, Poke? Verdammt noch mal, hat man denn hier nie seine Ruhe?« sagte Slade barsch. Dann fragte er mißtrauisch: »Hat Rachel dich geschickt?«
»Nääh, das hat se nich. Und sei gefälligst höflich, wenn du mit mir redest, Slade Maverick. Der Krieg is vorbei, und ich bin ein freier farbiger Mensch«, sagte Poke. »Und keiner von den Negersklaven von deinem Vater! Vergiß das ja nicht, ich bin nämlich noch nicht so alt, daß ich dich nicht vertrimmen kann. Einer muß für Miss Rachel sprechen, und Fremont ist so stinksauer auf dich, weil du dem Mädel wehgetan hast, daß er schon sein Gewehr sucht!« Poke holte Luft. »Du weißt, daß Rachel dich liebt, Slade.«
Der Neger sah mit Genugtuung, wie der Revolvermann erstarrte. Nach einiger Zeit zwang sich Slade, mit seiner Arbeit fortzufahren.
»Du träumst, Poke«, knurrte er.
»Nääh, wirklich nich’. Mensch, an dem Tag, wo dir Ox den Stuhl übern Kopf gezogen hat, hab’ ich gedacht, sie fällt in Ohnmacht, wie sie dich da liegen sieht. Die war so wütend, daß sie eins von den Stuhlbeinen genommen hat und den alten Ox umbringen wollte! Geschlagen hat sie ihn, und das nicht zu knapp. Ich kenn’ Rachel, seit sie auf der Welt ist, und ich sag’ dir, ich hab’ sie noch nie so aufgeregt gesehn wie damals, wie sie gedacht hat, du bist tot. Und jetzt willste wegrennen und dich mit diesem Franzosen schießen – und dich womöglich umbringen lassen!«
»Hat Rachel dir das gesagt?« fragte Slade wütend.
»Nääh. Und ich brauch’ auch keinen, der mir das sagt, weil du heut’ abend dreingeschaut hast, als hätteste einen Geist gesehn. Ich bin im Süden aufgewachsen. Ich weiß Bescheid über Duelle. Und wie Adam das erzählt hat, und weil ich weiß, daß du ein Revolvermann warst, bevor du hierher gekommen bist, muß ich doch kein Hellseher sein, da weiß ich doch, daß die Karte eine Herausforderung ist. Aber ich bin hier, weil ich dir sagen will, daß heute keiner mehr Duelle macht, und daß die Vergangenheit begraben ist, Slade, und du nix mehr ändern kannst -jetzt nicht und niemals. Das kann keiner, das is’ Tatsache!«
»Vielleicht, aber ein Mann, der einen Funken Ehre und Mut im Leib hat, weicht keiner Herausforderung aus«, sagte Slade hartnäckig.
»Das hab’ ich auch mal geglaubt«, gab Poke zu, »aber Ulysses hat mich was Besseres gelernt. Du hast Ulysses, Rachels Daddy, nie gekannt. Aber er und Miss Victoria, Rachels Mutter, des waren gute Leute, die besten. Die ham mich vor Jahren aufgenommen, bevor der Krieg angefangen hat,
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