Wildes Blut
Rachel, du mußt doch verstehen, daß ich losreiten muß, oder nicht? Und warum!«
»Ja. Ja, ich verstehe es, und ich hasse es, weil ich nicht will, daß du gehst. Oh, Slade, ich hab’ solche Angst – du wirst doch auf dich aufpassen, ja?«
»Ja, ich verspreche es.« Er schwieg einen Augenblick und drückte ihren zitternden Körper fest an den seinen, als könne er es nicht ertragen, von ihr getrennt zu werden.
Sein Gesicht ruhte in ihren Haaren, und die Augen waren geschlossen, als er behutsam ihre Locken streichelte. Dann bemerkte er mit einem Male, daß sein Hengst ängstlich wieherte. Slade hob den Kopf und sah mit sprachlosem Entsetzen den unglaublichen, furchteinflößenden Anblick, der sich vor seinen Augen entfaltete. »Herr im Himmel«, hauchte er. »Was, zum Teufel, ist das?«
Rachel drehte sich um und wurde schneeweiß. Der Himmel glich, so weit das Auge reichte, einem riesigen Bluterguß. Er war blaß, kränklich grün, durchzogen von gelblich grauen Adern, eine gewaltige, drohende schwarze Dunkelheit tat sich vor ihnen auf, wie ein überquellender Farbkessel brodelte sie und schwappte über das ganze Firmament. Der träge Wind von vorhin hatte sich gelegt, kein Lüftchen wehte, und schon das war furchterregend, denn in der Prärie bewegte sich immer etwas. Kein Laut war zu hören, nichts regte sich. Die Stille war gespenstisch, beängstigend; es war ein Gefühl, als wäre die Erde selbst plötzlich erstickt.
Atemlos starrten Rachel und Slade auf den Koloß, der den Himmel verdunkelte, sprachlos und zu Zwergen geschrumpft vor seiner unglaublichen Größe und Macht, mit der er auf sie zuraste und das Firmament verschlang, wie ein dichter Nebel, der vom Meer heranrollt. Doch das waren keine wild gewordenen Gewitterwolken, die bald aufreißen und ihren Inhalt ergießen würden. Keine Blitze durchzuckten diese gewaltige Wolke, und kein rollender Donner hallte durch die Luft. Wie auf Katzenpfoten schlich sich der Titan heran, kroch schnell und verstohlen näher wie ein Puma, der zum Sprung auf die Beute ansetzt. Slade hatte so etwas noch nie gesehen. Aber Rachel.
»Ein Tornado«, sagte sie grimmig, und auf ihren Ohren lastete ein plötzlicher Druck. »Wir müssen versuchen, zum Haus zu kommen, zum Keller, nur da sind wir sicher.«
Wie ein Mann rannten sie zu ihren Pferden, die jetzt schrill und verängstigt wieherten und mit weiß umrandeten Augen herumtänzelten und bockten, so daß Rachel und Slade Schwierigkeiten hatten aufzusitzen. Kaum waren sie im Sattel, stürmten die beiden Pferde los. Rachel sah sich um und erkannte, daß es trotzdem zu spät war. Die schwarze Wolke hatte sie schon fast eingeholt, wogend und erschaudernd bäumte sie sich auf und schleuderte ihnen ihr wahres Ich, das im Inneren verborgen war, entgegen – eine wirbelnde Satansbrut von dämonischer Kraft und höllischer Wut, ein riesiger Teller, der sich am Himmel drehte wie ein Derwisch, sich ausdehnte, streckte, zu einer Röhre wurde, die wie ein Bohrer auf die Erde zuraste.
Und dann das Geräusch.
Es war das Dröhnen von Abermillionen von Heuschrecken, das Summen ungezählter Bienen und Insekten. Es wurde lauter und noch lauter – bis es zu einem Getöse angewachsen war, das jaulte und heulte, in einem Chor des Grauens, das furchtbare Klagelied zahlloser teuflischer Stimmen, die sich zu einem wütenden, allmächtigen Kreischen vereinten, das über der Prärie explodierte, als Himmel und Erde auf dämonische Weise verbunden wurden.
Der hungrige Höllenhund labte sich, sog alles, was auf seinem Weg lag, in seinen Schlund, verschlang Dreck und Müll, mästete seinen geisterhaften Körper, bis er dunkler wurde und sich in eine gigantische, sich windende Schlange verwandelte, die sich über die Prärie schlängelte und wand und mit ihrer tödlichen diabolischen Zunge wahllos aufleckte, was ihr in den Weg kam, und wuchs und sich blähte vom teuflischen Mahl.
»Schneller, Rachel, schneller!« schrie Slade durch diesen Gesang des Grauens, als er sich umdrehte und die gräßliche Mißgeburt der Natur sah, die sich vom Himmel gesenkt hatte und sie jetzt gnadenlos verfolgte. »Reite um dein Leben!«
»Nein, nein, wir schaffen es nicht, Slade!« schrie sie zurück, aber das Tosen riß ihr die Worte aus dem Mund. »Das hat meine Eltern umgebracht! Sie haben versucht, davor zu fliehen! Sie haben sich keinen Unterschlupf gesucht! Runter vom Pferd, Slade! Steig ab, Slade!«
Rachel brachte ihre Stute zum Stehen, wickelte schnell die
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