Wildes Blut
bevor Miss Rachel auf der Welt war. Und ich war ein geflohener Sklave aus dem Süden, und ich hab’s irgendwie bis in den Norden geschafft. Ich hab’ gestohlen, um nich’ zu verhungern, und auf der Straße geschlafen, wie Ulysses mich gefunden und mit nach Haus mitgenommen hat. Ich war halb verrückt vor Angst vor den Sklavenfängern, und ich hab’ mich geschämt, weil ich weggelaufen bin. Ich hab’ mich wie ein Feigling gefühlt. Aber Ulysses hat mir gesagt, daß es oft viel mehr Mut kostet wegzulaufen, wie dazubleiben und zu kämpfen.
Familie hab’ ich keine mehr gehabt. Meine Kinder ham se flußabwärts verkauft, und meine Frau … also der weiße Mann … wenn man den überhaupt Mann nennen kann- dem wir gehört ham, der hat sich eines Abends besoffen und sie geschlagen und vergewaltigt, weil sie ihn und ein paar von seinen Freunden nicht befriedigen wollte. Dann ham sie sie der Reihe nach gepackt. Sie war tot, wie sie fertig waren. Und ich hab’ ihn dann umgebracht. Deswegen bin ich weggelaufen, und deswegen hab’ ich auch solche Angst gehabt, daß mich die Sklavenfänger erwischen. Die hätten mich aufgehängt. Aber Fremont, Ulysses und Victoria, die ham mich versteckt und beschützt, und hinterher warn die meine Familie.
Deswegen will ich mit dir reden, Slade, weil ich nich’ ertragen kann, daß man dem Kind von Miss Victoria wehtut. Ich weiß, daß dem kleinen Mädel da drin das Herz bricht, wenn dir was passiert und du nicht zurückkommst. Du hast doch ehrenwerte Absichten mit dem Kind, oder? Ich meine … so wie du seit Monaten hier rumlungerst und so tust, als gehörst du zur Familie, na, da hab’ ich gedacht, du und Miss Rachel, ihr habt euch geeinigt und wollt heiraten. Bin ich da auf dem Holzweg?«
»Nein«, erwiderte Slade knapp.
»Warum riskierst du dann, daß Miss Rachel Witwe ist, bevor sie noch ’ne Ehefrau war? Des is nicht recht, erst den alten Ox verjagen und dann selber wegrennen und sie aufm Trocknen sitzen lassen. Der Ox war ihr egal. Aber dich liebt sie, Slade, und Miss Rachel is’ ein Mensch, der wo dem Mann, den sie liebt, ihr ganzes Herz gibt. Und ich sag’ dir hier und jetzt, wenn dir was passiert, wird das Kind das nie überwinden, nicht solang’ sie lebt. Ich find’, wenn ein Mann eine Frau lieb hat, dann würd’ er nicht riskieren, ihr so was anzutun!«
»Nein, Poke, das würde er nicht«, stimmte Slade zu und stieg auf den Kutschbock. »Aber ob’s ihm gefällt oder nicht, ein Mann muß tun, was er tun muß. Aber mach dir keine Sorgen um mich – oder um Rachel –, hast du gehört? Sie ist eine starke Frau, und wenn sie mich liebt, wie du sagst, dann weiß sie in ihrem Herzen, daß ich meine Vergangenheit überwinden und reinen Tisch machen muß, wenn wir zusammen ein Leben führen wollen, wie sie sich das vorstellt – und wie ich mir das vorstelle wohl auch. Ansonsten würde ich mir nicht so viele Gedanken machen, was ihr das antun könnte. Aber keine Angst. Ich kann auf mich aufpassen, und ich werde wiederkommen. Darauf kannst du dich verlassen!«
26. KAPITEL
Lange nachdem Slade, Adam und die Kinder an diesem Abend gegangen und Fremont und Poke im Bett waren, saß Rachel schweigend auf der Schwelle des Blockhauses und betete. Sie wußte, daß sie Slade nicht davon abhalten konnte, sich mit Digger Thibeaux zu treffen, daß der Revolvermann es als feige betrachten würde, die Herausforderung nicht anzunehmen, und auf eine seltsame Art wollte sie das drohende Duell auch nicht verhindern.
Das unerwartete Auftauchen Thibeaux in Slades Leben hatte alle alten Wunden wieder aufgerissen und all seine alten Gefühle für Thérèse Duvalier wieder zum Leben erweckt. Vorher waren Wunden und Gefühle nur noch sterbende Erinnerungen gewesen, fast vergessen, das spürte Rachel. Aber jetzt hatte Digger ihnen neues Leben eingehaucht, hatte all den Schmerz und die Leidenschaft wieder auflodern lassen. In ihrem Herzen wußte Rachel, daß Slade nur frei sein würde, sie zu lieben und mit ihr ein Leben aufzubauen, wenn es ihm gelänge, seine Vergangenheit zu begraben und das Buch der Erinnerungen zu schließen.
Sie versuchte, ihre Angst zu beschwichtigen, indem sie sich einredete, Slade sei ein Profi, der gut war, denn sonst hätte er nicht so lange überleben können. Aber der Verstand allein genügte nicht. Irgend etwas an seiner Geschichte hatte ihr entsetzliche Angst eingejagt, obwohl sie nicht genau benennen konnte, was es war. Sie wußte nur, daß es mehr war als die
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