Wildes Blut
Tatsache, daß Digger Thibeaux ein kaltblütiger Mörder war. Immer und immer wieder ließ Rachel sich Slades tragische Geschichte durch den Kopf gehen. Aber wie immer blieb das Entsetzliche ungreifbar. Sie wußte nur, daß Slade sterben konnte und sie ihm nie gesagt hatte, daß sie ihn liebte. Durch ihre Trauer um Tobys Tod und die lange, harte Arbeit der Ernte hatte sie nie Gelegenheit dazu gehabt, sondern immer auf einen geeigneten Augenblick gewartet.
Hatte sie doch zu lange gewartet? Damit konnte Rachel nicht leben. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los, und fast wäre sie spontan zu Slades Farm geritten. Dann wurde ihr klar, daß er wahrscheinlich schlief und die Kinder sicherlich auch, und sie alle aufwecken würde und dann müßte sie Slade vor allen anderen sagen, wie es in ihrem Herzen aussah. Rachel beschloß, es ihm am Morgen zu sagen, in aller Frühe. Gott schuldete ihr das, oder etwa nicht? Er konnte doch nicht so grausam sein, ihr Toby wegzunehmen und dann auch noch Slade, ehe sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Nein, das konnte sie nicht glauben. Das würde sie nicht akzeptieren. Irgendwie mußte sie einen Weg finden.
In der Ferne zuckten Blitze am Himmel und muteten wie ein Feuerwerk an. Aber es war kein Donner zu hören, und es regnete auch nicht, was Rachel erschaudern ließ. Etwas Bedrohliches braute sich zusammen, und plötzlich waren all ihre Ängste wieder da. Sie ging ins Haus und zu Bett. Aber es dauerte lange, ehe sie einschlief, und als sie endlich einschlief, fiel sie in einen unruhigen Schlaf, gequält von Träumen, in denen Slade unter schwarzem Himmel auf der Prärie stand, und irgendwo lachte eine schattenhafte Gestalt, und aus seinen Revolvern zuckten Flammen.
Am Morgen war der Himmel bleiern, und in der Ferne bauschte sich eine Finsternis auf aus Regenwolken; die Luft war stickig und feucht, der Wind träge und drückend, er regte sich kaum noch, es war die unnatürliche Ruhe vor einem Sommergewitter. Vom Rücken ihres Pferdes Sunflower aus suchte Rachel ängstlich den Horizont ab, weil sie befürchtete, ein schrecklicher Wolkenbruch oder Schlimmeres könnte hereinbrechen. Trotzdem ritt sie unbeirrt weiter, entschlossen, ihre Mission zu erfüllen. Es war ja nicht das erste Mal, daß sie von einem Gewitter durchnäßt wurde. Und sicher auch nicht das letzte Mal.
Eve hatte Rachel erzählt, Slade sei früh am Morgen weggeritten, aber nicht in Richtung Stadt, sondern zu den fernen Feldern. Er hatte zwei Säcke mit Flaschen und Dosen mitgenommen. Deshalb glaubte Eve, er mache Schießübungen, um sich auf sein Treffen mit Digger Thibeaux vorzubereiten. Und deshalb fand Rachel den Revolvermann, wie er auf Flaschen und Dosen zielte, die er auf einem Felsen, der aus der Prärie ragte, aufgestellt hatte.
Er warf ihr einen strengen Blick zu, als sie vom Pferd stieg. Dann beugte er mit verschlossenem Gesicht den Kopf zu seinem Revolver, stieß die leeren Hülsen aus und lud erneut.
»Es war reine Zeitverschwendung hierherzukommen, Rachel«, sagte er brüsk. »Ich lasse mich von meinem Vorhaben nicht abbringen.«
»Das weiß ich.«
Das ließ ihn für kurze Zeit verstummen. Er ließ den Zylinder des Revolvers versuchsweise kreisen und steckte dann zufrieden die Waffe wieder ins Halfter. Dann wandte er sich ihr mit verschränkten Armen zu.
»Warum bist du dann gekommen?« fragte er in eisigem Ton.
Diese harte Seite seines Wesens hatte Rachel seit langer Zeit nicht mehr gesehen, und sie wurde verlegen. Angesichts dieser abweisenden Haltung konnte sie nicht einfach damit herausplatzen, daß sie ihn liebte. Sie wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte. Fast wünschte sie, sie wäre nicht gekommen. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, einfach wieder auf ihr Pferd zu steigen und wegzureiten. Sie schluckte. Dann sagte sie: »Ich – ich bin gekommen – dir Lebwohl zu sagen, falls – falls …« Rachel biß sich auf die Unterlippe, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann schrie sie mit zittriger Stimme: »Oh, Slade! Warum mußt du jetzt so hart sein, wenn du doch weißt, wie sehr ich – wie ich – das hab’ ich nicht verdient! Ich, ich weiß, ich …«
»Nein, das hast du nicht«, murmelte er, lief zu ihr und umarmte sie, drückte sie an sich, seinen Mund in ihrem Haar. »Es tut mir leid, mein Schatz. Es tut mir leid. Ich bin nur so hart, weil ich fürchte, daß ich zusammenbreche, daß ich nicht stark genug bin, loszureiten und dich zurückzulassen. Aber ich muß es tun,
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