Wildes Erwachen
neugierig musterte. Als sich ihre Blicke trafen, setzte sie ein spitzbübisches Lächeln auf und signalisierte, dass sie auch einmal gerne an der Pfeife ziehen würde. Kral stopfte sein zweites Exemplar mit Tabak, ging dann zu dem Tisch und reichte ihr Pfeife und Feuerzeug.
Nun erlebte Kral beinahe ein Déjà-vu. Irgendwo in Südamerika war das seinerzeit fast genauso abgelaufen, nur war damals der Pfeifenraucher ein älterer Bootsmann. Puffpersonal und Besucher traten wie Schauspieler in einer ekligen Schmierenkomödie für Momente aus ihrer Rolle, um sich einem fast kindlich anmutenden Spiel hinzugeben: Die Mädchen zogen und lutschten reihum an der Pfeife, denn die Glut hielt nie lange vor. Lautes Kreischen und Kichern und dazwischen immer wieder übertriebenes Gehuste begleiteten den Rundlauf der Pfeife. Schließlich nahm sich die Urheberin des Spektakels der Sache an, und sie zeigte durchaus Talent: Sie produzierte eine stabile Glut und schaffte es sogar, kunstvolle Rauchkringel zu kreieren. Die Rolle der Zuschauer kam den vier Gästen zu, die sich schier kaputtlachen wollten und die Kunstraucherin mit heftigem Beifall bedachten. Der Barkeeper betätigte sich als Beleuchter und spendete der Einlage reichlich Licht. Schließlich johlten die Damen dankbar und wurden, von Liebermann mit einer Runde des Gesöffs belohnt, das in allen Puffs der Welt für das weibliche Personal bestimmt und in der Regel ziemlich teuer ist.
An seiner Seite hatte Kral nun Svetlana aus Zhitomir in der Ukraine, die etwas Englisch sprach, aber auch Deutsch radebrechte.
Den Umgang mit Rauch und Pfeife habe sie von ihrem Großvater gelernt. Anschaulich zeigte sie Kral, wie der die Kleinen mit dem »Einsperren des Rauchs« in eine Streichholzschachtel unterhalten habe. Später habe er die Kinder dann sehr zum Ärger der Mutter gelegentlich auch an der Pfeife ziehen lassen.
Die Ukrainerin war einen halben Kopf kleiner als er. Tunika und Jeans umhüllten eine etwas pummelige, aber keineswegs dicke Person, deren hervorstechende Markenzeichen Schlitzohrigkeit und Humor zu sein schienen. Das Lachen verschwand kaum aus ihrem Gesicht, dessen herbe Züge so etwas wie bäuerliche Bodenständigkeit ausstrahlten.
Svetlana nippte sehr sparsam an ihrem Cocktail, was den Barkeeper veranlasste, mit deutlichen Blicken eine Erhöhung der Schlagzahl vorzugeben. Aber sie schien vergessen zu haben, dass sie zumindest für reichlichen Getränkekonsum zu sorgen hatte, wenn sie es schon nicht schaffte, den Gast auf ihr Zimmer zu lotsen.
Nachdem Svetlana erfahren hatte, dass Kral Lehrer war, erzählte sie von ihrem Bildungsweg: Trotz nicht allzu großen Lerneifers habe sie den Übergang in die Oberstufe geschafft, »weil Papa hat gemacht viel …« Das fehlende Wort ersetzte sie durch eine Handbewegung, die nur als körperliche Züchtigung zu deuten war. Nach dem Abitur hätten ihre Eltern sie auf die Universität geschickt, um aus ihr eine Grundschullehrerin zu machen. Die Geschichte schloss unerwartet: »Chind«, die Feststellung untermalte sie mit der Andeutung eines dicken Bauches, »dann Papa tott and now I am a prostitute.«
Sie sagte das so nüchtern und trocken, als sei dieser Weg der selbstverständlichste der Welt.
Kral bestellte ein Bier und für seine Gesprächspartnerin einen weiteren Cocktail. Svetlana wertete das als Aufforderung, den Gast anständig zu unterhalten. Sie begann mit einer Klassifizierung ihrer Kunden, vornehmlich Männer aus Deutschland: Da gebe es zunächst die »Quatscher«, die sich über die Lieblosigkeit ihrer Ehefrauen ausweinten »und nur wollen sprechen und an Titten lutschen«. Ähnlich genügsam seien die »Rammler«, die nach dem schnellen Geschäft das schlechte Gewissen plage und die dann schleunigst aus dem Puff flüchteten. »Und dann Mann mit machen viel Arbeit!« Gut gespielt gab sie die von solchen Ansprüchen Geplagte, um dann kichernd ihr Geheimnis preiszugeben, wie die Veranstaltung abzukürzen sei: »Du musst machen viel laut …«, sie imitierte lustvolles Stöhnen‚ »wie sagen in Deutsch?«
»Orgasmus.«
»Okay, vill Orgaasmus, dann Mann zufrieden.«
Lachend fragte Kral, welchem Typ denn er entspreche.
Wieder dieser schlitzohrige Blick: »Du gerne wissen?« Sie lachte und schien zu überlegen. Jetzt lag in ihrem Blick etwas Melancholisches: »Du mich ansehen wie Tochter, du nicht gehen mit mich in Bett.« Und schon grinste sie wieder: »Wenn doch, du machen viel Arbeit.«
Liebermann war schon
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