Wildes Erwachen
bei Klara, einer Freundin Evas, einquartiert werden. Die Rentnerin lebte alleine und freute sich sogar auf ihre Rolle als Gastgeberin.
Kral hatte sich von seiner Frau nach Asch fahren lassen. Gemeinsam mit Brückner wollte er Svetlana vom Krankenhaus abholen. Und der Kapitän würde dann die beiden nach Deutschland bringen.
Das Mädchen begrüßte sie mit Tränen in den Augen und konnte sich gar nicht genug dafür bedanken, dass man sie aus dem Gefängnis befreit hatte. Kral wurde mit einem Kuss auf die Backe bedacht: Svetlana sah das als Entschuldigung dafür, dass sie auch ihn in die Schurkenschublade gesteckt hatte: »Ich denken, du böse wie andere Mann.«
Der Weg vom Krankenhaus zum Grenzübergang führte durch die Innenstadt. Svetlana saß auf dem Rücksitz und blätterte, glücklich lächelnd, in dem nagelneuen tschechischen Pass, den man ihr besorgt hatte. Für Kral eine ganz und gar nicht koschere Angelegenheit, denn man macht nicht eben so mal im Vorbeigehen aus einer Ukrainerin eine Tschechin. Gelinde gesagt war hier alles sehr unbürokratisch geregelt worden.
Als sie auf der Ringstraße in Richtung Stadtbahnhof fuhren, meinte Brückner beiläufig: »Bitte jetzt nicht umdrehen! Mir scheint, wir haben jemanden hinter uns, der sich für uns interessiert. Mal sehen, was jetzt passiert?«
Beim Stadtbahnhof bog er, statt weiter in Richtung Selb zu fahren, wieder nach rechts in Richtung Stadtmitte ab. Er nahm jetzt den Weg über das Rathaus zum Gymnasium, um so den Grenzübergang zu erreichen.
»Der lässt sich schön zurückfallen, man könnte fast denken, er weiß, wohin wir fahren«, kommentierte Brückner das Verhalten des Verfolgers, »übrigens ein Taxi, nur mit einer Person besetzt.«
Kral war bekannt, dass einige Taxifahrer intensiv mit der Mafia zusammenarbeiteten. Sie bildeten quasi das logistische Rückgrat der Organisation: Kuriere, Kundschafter und natürlich Transporteure.
»Der Spuk wird bald ein Ende haben«, grinste Brückner, verzichtete aber auf eine Erläuterung. Die sollte Kral am Grenzübergang bekommen: Der große Abfertigungscontainer beherbergte sowohl die tschechischen als auch die deutschen Grenzbeamten. Obwohl seine Landsleute gar nicht vorhatten, Brückners Škoda anzuhalten, sondern ihn zur deutschen Seite durchwinkten, hielt der Kapitän an, zeigte seinen Dienstausweis und kündigte »ein kleines Problem« an. Seine Bitte, die Ausreise nach Deutschland ab sofort für etwa zehn Minuten zu unterbinden, »weil nicht jeder wissen muss, wohin ich fahre«, wurde grinsend zur Kenntnis genommen und anschließend konnte das Trio seine Fahrt unverfolgt fortsetzen.
Als Kral sich zu Svetlana umdrehte, bemerkte er, dass sich das Mädchen verkrampft an die Rückenlehne presste. Ihr Gesicht war völlig blutleer und sie schien zu zittern. Kein Wunder, die Angst hatte das Mädchen wieder eingeholt. Sie hatte gar nicht verstehen müssen, was genau gesprochen worden war, zudem hatte Brückner ohne jede Hektik agiert, aber das Opfer lernt sehr schnell, die Signale herauszufiltern, die eine Gefahr ankündigen.
»Keine Angst, kein Problem!«, beruhigte sie Kral. Aber erst in Klaras Wohnung löste sich ihre Anspannung.
Eine verzwickte Situation: Ein tschechischer Kapitän, der auch Deutsch spricht, und ein deutscher Hauptkommissar mit geringen Englischkenntnissen wollen eine Ukrainerin befragen, die neben ihrer Muttersprache kaum Englisch kann. Daneben verfügte sie auch über rudimentäre Kenntnisse des Deutschen und des Tschechischen, aber leider war dieser Wortschatz fast ausschließlich dem Rotlichtmilieu entlehnt.
Schuster, der sich mit seinem Mordfall und der Entführung aus dem Frauenhaus quasi in der ersten Reihe sah, begann mit der Befragung: »Sie kennen Alena Smirnov?«
Svetlana nickte.
»Sie können machen Beschreibung der Frau?«
Kral, der nur eine Beobachterrolle einnahm, kannte diese Unsitte des Kommissars, Ausländer mit einer Pidgin-Version des Deutschen zu beglücken, und war drauf und dran loszupoltern, dass Schuster gefälligst ein normales Deutsch mit der Frau sprechen solle. Aber er nahm sich zurück. Schließlich war er bei den beiden Herren schon oft genug mit seiner oberlehrerhaften Besserwisserei angeeckt.
»Nix verstähen«, antwortete Svetlana.
Brückner versuchte es auf Tschechisch: »Deskripce«.
Svetlana lachte freudig und nickte mit dem Kopf.
»Schön«, Schuster lächelte gequält, »aber wie sollen wir das technisch …?« Er hielt inne, denn
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