Wildes Erwachen
Svetlana war aufgesprungen und verließ hastig das Zimmer. Die drei Männer blickten ihr verwundert nach. Schuster schüttelte ratlos den Kopf und brummte: »Was ist denn jetzt mit der los?«
Die Antwort war schnell gefunden: Das Mädchen kam spitzbübisch grinsend ins Zimmer zurück und präsentierte Brückner und Kral je ein mit Bleistift gezeichnetes Portrait. Gespannt blickte sie auf die beiden Männer, um deren Reaktionen zu beobachten.
»Wahnsinn!«, entfuhr es Kral, denn er hielt ein naturgetreues Abbild von sich in Händen. Auch Brückner war geplättet von der tollen Leistung. Die Bilder wurden ausgetauscht und dann zur Begutachtung an Schuster weitergereicht, der dem Mädchen, wahrscheinlich vergeblich, klarzumachen versuchte, dass es mit einer glänzenden Karriere als Künstlerin rechnen könne.
Stolz blickte Svetlana in die Runde und kommentierte: »Present for you!« Dann fuhr sie fort: »Ijch machen Alena«, und schon fuhr ihr Bleistift emsig über einen neuen Bogen Zeichenpapier.
»Und ich hab’ mir schon vorgestellt, wie das am Computer laufen würde, also rein sprachlich«, meinte Schuster, »schön wär’s natürlich, wenn sie uns auch ein Bild von dem Mann zeichnen könnte, der diese Alena in Asch besucht hat.«
Auch diesen Wunsch konnte die Künstlerin erfüllen. Nach gut einer Stunde standen den Polizisten zwei Bilder zur Verfügung, die die Qualität von normalen Phantombildern bei Weitem übertrafen.
Und noch eins war jetzt glasklar: Der ermordete Bauer aus Kolkenreuth war Alenas Verehrer gewesen und hatte sie mit großer Wahrscheinlichkeit nach Deutschland gebracht.
Die nächste Sitzung begann mit einem Paukenschlag: Brückner breitete wortlos einige großformatige Fotos vor Svetlana, Schuster und Kral aus. Die Bilder zeigten einen Mann, der bestialisch misshandelt und wahrscheinlich auch getötet worden war. Eine der Aufnahmen zeigte ein stark entstelltes Gesicht. Deutlich war zu erkennen, dass Mund und Augen weit aufgerissen waren; es schien, als habe der Mann sein Ende mit ungläubigem Entsetzen wahrgenommen. Kral wurde von einer Übelkeit übermannt, die ihn zwang, seinen Blick von dem Bild zu lösen. Ganz anders Schuster und Svetlana: Der Hauptkommissar nahm sich die Fotos mit fachmännischem Interesse vor. Er nickte mehrmals bedächtig, als habe er für sich den einen oder anderen Schluss gezogen. Svetlana griff nach dem Bild, das das Gesicht des Opfers zeigte, betrachtete es sehr genau und wandte sich dann fragend an Brückner: »Igor?«
Der Kapitän nickte und berichtete dann kurz: »Heute früh aufgefunden in einem Straßengraben bei Asch. Man hat ihn mit einer Eisenstange malträtiert, der Doktor kam auf etwa 20 Schläge. Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als Abreibung gedacht; sein Tod, so scheint uns das, war beabsichtigt. Typische Strafaktion der Mafia für einen Fehler oder ein Versagen.«
»Und was hat er verbockt?«, wollte Schuster wissen.
»Tja«, Brückner lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte dann auf Svetlana, »Ironie des Schicksals, das hat er irgendwie unserer Freundin zu verdanken: Hätte er sie nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht, dann hätte er erfahren, dass ich hinter Kral stecke und wir sie aus dem Puff holen wollten.«
Svetlana hatte sehr aufmerksam zugehört und verzichtete auf Nachfragen. Sie hatte das Wesentliche mitbekommen: »Ich habe Liebe für diese Mann«, die Vergangenheit zeigte sie mit einer Handbewegung«, »aber sein schlächt. Aber Tott nich gutt für Maan, muss machen, was Mafia sagen.«
Kral wunderte sich ziemlich, diese Reaktion hatte er so gar nicht erwartet, eher unbändige Freude über den Tod des Peinigers. Er kannte die Frau gerade mal 14 Tage. Und in dieser kurzen Zeit hatte sie ihn immer wieder überrascht, zunächst mit Humor, Intelligenz und Cleverness, dann mit ihrer künstlerischen Ader und jetzt mit dem, was man gemeinhin als sittliche Reife bezeichnet.
Eine Schande, dass eine solche Frau in einem tschechischen Puff verheizt werden sollte!
Svetlana deutete das Schweigen der drei Männer als Aufforderung, über ihre Beziehung zu Igor zu sprechen. Gestenreich vermittelte sie ihre Leidensgeschichte in einem Kauderwelsch, dem die Zuhörer zwar nur mit Mühe folgen konnten, das sie aber auch immer wieder zum Schmunzeln brachte: Eine Freundin habe sie auf eine Anzeige hingewiesen, in der ein tschechisches Unternehmen nach Näherinnen gesucht habe. Nach Erteilung des Visums sei
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