Wildes Lied der Liebe
würde ich nicht damit rechnen, dass er nach einem Jahr zurückkommt. Vor allem nicht, wenn er in den Comstock-Minen sein Glück macht.«
Mr. Shaw seufzte bedauernd. »Nun, wenn er nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht wieder auftauchen sollte, werde ich ihn wohl suchen und erschießen müssen.«
Es herrschte kurzes, betretenes Schweigen. Christy vermutete, dass alle Anwesenden überlegten, ob der Marshal einen Scherz gemacht oder seine Bemerkung bitterernst gemeint hatte. Seine Miene war zwar freundlich, gab jedoch seine Gedanken nicht preis.
Sch li eßlich lachte der Colonel so herzlich, dass der Tisch nebst dem Geschirr zu beben schien. Offenkundig war er der Ansicht, soeben einen guten Witz gehört zu haben. Auch Caney lachte, obgleich ein wenig verspätet, und Megan kicherte leise, während ihr bewundernder Blick auf Zachary Shaw ruhte.
Christy dagegen war nicht zum Lachen zu Mute, denn sie hielt die Bemerkung des Marshals für ernst. »Wann werden wir morgen aufbrechen?«, fragte sie ruhig.
»Bei Sonnenaufgang«, antwortete er, ebenfalls ohne eine Miene zu verziehen. In diesem Augenblick war es Christy, als bestünde eine geistige Verbindung zwischen Shaw und ihr. »Ich werde die Wagen noch heute Abend beladen. Ich nehme an, dass Sie Ihren Besitz zusammengepackt haben?«
»Die kläglichen Reste unseres Besitzes, ja«, bemerkte Caney, während Christy noch um eine höfliche Antwort rang.
»Gut«, sagte er und blickte Christy unverwandt an. Keine Sekunde lang hatte er sie bisher aus den Augen gelassen. »Die Reise ist beschwerlich, und unterwegs lauern viele Gefahren. Wir werden mindestens zwei Tage brauchen. Ich bin auf dieser Reise für Sie verantwortlich und würde mich freuen, wenn alle Reisenden diesen Umstand im Gedächtnis behielten.«
Wieder herrschte Stille am Tisch. Christy sah dem Marshal unerbittlich in die Augen, um ihm zu zeigen, dass er ihr nichts zu befehlen hatte. Sch li eßlich war sie es jedoch, die den Blick abwandte.
Zachary verbrachte die Nacht bei den Soldaten und fand schnell heraus, dass ihn alle Männer darum beneideten, dass er die Frauen nach Primrose Creek begleiten durfte.
Er lag auf dem Rücken auf einer der Pritschen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und lauschte schläfrig dem Gespräch der Soldaten.
»Die Dunkelhaarige, Miss Christy«, begann einer der Männer, nachdem die Lampen gelöscht worden waren, »sieht wirklich bezaubernd aus, kann jedoch ziemlich unangenehm werden.«
Zachary verspürte ein seltsames Kribbeln in der Magengegend, aber er lächelte nur. »Sie ist schon eine Kratzbürste«, gab er zu.
Eine weitere Stimme ertönte in der Dunkelheit. »Nicht, dass wir nicht alle versucht hätten, ihr den Hof zu machen. Aber sie ist zu vornehm für unsereins und zeigt das auch. Tatsächlich hat sie Jim Toth sogar erklärt, dass niemand in der gesamten Garnison für sie infrage käme. Hab ich Recht, Jim?«
»Ja«, erklang eine traurige Stimme, die allem Anschein nach Jim gehörte. »Sie stammt aus einer reichen Familie, das sieht man ihr gleich an. Und sie meinte, sie müsse an ihre Zukunft und die ihrer Schwester denken.«
Zachary verging das Lächeln, obwohl er nicht hätte sagen können, warum er plötzlich so niedergeschlagen war. Schließlich ging ihn Miss Christy McQuarry überhaupt nichts an.
1
»Dort drüben!«, rief der Marshal hörbar erleichtert und deutete auf den silbrig schimmernden Strom, der sich durch ein Tal schlängelte, das sich zwischen die Berggipfel der High Sierra schmiegte. Wälder von Ponderosa-Kiefern und Douglas-Föhren überzogen die Hänge so dicht, dass sie eher tiefblau schimmerten als grün. Hier und da sorgten Eichen, Ahornbäume und Pappeln für Farbflecke. »Das ist der Primrose Creek. Die Stadt liegt etwa zwei Meilen südwestlich von hier.«
Christy stemmte sich in den Steigbügeln hoch und sog tief den Atem ein. Eine sanfte Brise umschmeichelte sie und trug das Versprechen eines warmen Sommers in sich. Die Aussicht auf das Tal war so atemberaubend schön, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.
Megan, die neben ihrer Schwester ritt, hielt erstaunt den Atem an und rief dann: »Das ist ja wie im Traum!« Sie deutete aufgeregt ins Tal hinunter. »Sieh nur, Christy, das muss Bridgets Haus sein, dort an der Flussbiegung. Ist es nicht schön?«
Plötzlich schien die Freude getrübt zu sein, die Christy eben noch über ihre Ankunft empfunden hatte. Sie und Megan hatten die Jahre des Bürgerkriegs in England
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